Politikverdrossenheit

Abhilfe durch Wahlrechtsänderung?

Immer wieder wird die abnehmende Wahlbeteilung beklagt. Eine Demokratie lebt aber von der aktiven Teilnahme des Bürgers an dem staatlichen Willensbildungsprozess. Nun kann nicht jede Frage mit dem Bürger durch eine breite Volksabstimmung geklärt werden. Deshalb haben wir die regelmäßig wiederkehrenden Wahltermine, in denen sich Politiker aller Parteien um ein Mandat bewerben.

In Wahlen kann auch nicht jeder Bürger über jeden Bewerber abstimmen. Für die Persönlichkeitswahl tritt der Bewerber nur in einem Wahlkreis an. Dort mag er zwar eine breite Mehrheit finden, weil er vor Ort über ein weit verzweigtes persönliches Netzwerk verfügt, über seine Fähigkeiten, Politik zum Wohle der Gemeinschaft zu gestalten, sagt das aber noch gar nichts.

Neben der Persönlichkeitswahl gibt es deshalb aus guten Gründen auch die von den Parteien aufgestellten Listen. Damit hat der Bürger die Möglichkeit, einer parteipolitischen Richtung zur Mehrheit zu verhelfen, von der er der Überzeugung ist, dass sie seinen Interessen am besten dient. Bei einer hohen Wahlbeteiligung bestehen keine Zweifel, dass die gewählte Mehrheit auch tatsächlich den Willen des Wählers repräsentiert.

  • Was ist aber nun mit den Meinungen der Bürger, die sich durch zunehmende Wahlenthaltung artikulieren?
  • Ist es gerechtfertigt, in den Parlamenten Abgeordnete entscheiden zu lassen, die sich auf keine breite Unterstützung im Wählervolk berufen können?

Da hört man gelegentlich Stimmen, die deutlich machen, was die Politik- verdrossenen von den Mandatsträgern halten. Die Ausdrücke, die Bürger am Stammtisch oder in anderen lockeren Gesprächsrunden finden, sind hier sicher nicht zitierfähig. Aber man sollte schon sehr genau hinhören und fragen, wie dem begegnet werden kann.

Da gibt es einen Punkt, der ernsthaft hinterfragt werden sollte. Wie viele Abgeordnete brauchen wir wirklich für eine qualifizierte Arbeit in den Parlamenten? Hat die Politikverdrossenheit der Bürger und die daraus resultierende Wahlmüdigkeit etwas damit zu tun, dass die Bürger es leid sind, dass zwar von Vielen viel geredet aber erst nach zermürbenden Debatten viel zu halbherzig entschieden wird?

Bei Übertragungen aus dem Bundestag erlebt der Bürger sowieso immer wieder, dass nur ein Teil der Mandatsträger den Debatten wirklich folgt. Wenn somit doch nur wenige Abgeordnete die Richtung der öffentlichen Diskussion bestimmen, kann der parlamentarische Aufwand ja auch heruntergefahren werden. Nach dem geltenden Verhältniswahlrecht sitzen immer gleich viel Abgeordnete in den Parlamenten, egal, ob sich viele oder wenige Bürger an den Wahlen beteiligt haben.

Wenn sowieso letztlich die Parteien bestimmen, wer für die eigentliche Parlamentsarbeit auf sicheren Listenplätzen abgesichert wird, weil sein Fachwissen und seine Reputation für die Darstellung der politischen Richtung unverzichtbar ist, und die übrigen Kandidaten doch nur als Hinterbänkler die Stimmenzahl repräsentieren, könnte man ja auch auf ganz andere Lösungen kommen, die die Zusammensetzung der Parlamente bestimmen.

Da habe ich schon oft den Vorschlag gehört, die Zahl der Mandate nach der Wahlbeteiligung auszurichten. Wenn eben nur die Hälfte der Wahlberechtigten wählt, sollte auch nur die Hälfte der Mandate vergeben werden.

Zunächst hatte ich solche Vorstellungen für neben der Sache gehalten. Je mehr ich aber darüber nachdenke, komme ich zu dem Schluss, dass eine Umsetzung dieser Idee tatsächlich die Qualität der Parlamentsarbeit heben könnte. Es hängt dann nicht nur an einem „sicheren“ Listenplatz, ob ein Kandidat ins Parlament einzieht. Es ist auch notwendig, so viele Wähler von der eigenen Fähigkeit zu überzeugen, dass die Partei nicht nur relativ sondern auch insgesamt soviel Unterstützung erhält, dass sie mit ausreichender Mandatszahl in das Parlament einzieht.

Die Umsetzung einer solchen Idee könnte man z.B. dadurch erreichen, dass für ein Bundestagsmandat nicht ein bestimmter Anteil an der Gesamtstimmenzahl ausreichend ist, sondern eine ganz bestimmte Wählerzahl erreicht werden muss, um der Partei ein Mandat zu erteilen. Rein rechnerisch ergibt sich schon jetzt, dass ein Bundestagsabgeordneter rund 100.000 Wahlberechtigte vertritt. Es wäre doch sicher kein Problem, wenn man das Mandat erst vergibt, wenn er auch tatsächlich 100.000 Wähler für sich bzw. seine Partei gewonnen hat.

Es würden sich nur diejenigen Bewerber auf vordersten Plätzen behaupten können, die auch tatsächlich hervorragende Arbeit abliefern und deshalb als Zugpferde das Parteiprofil befördern. Je mehr solcher Bewerber von einer Partei aufgeboten werden können, desto besser sind ihre Chancen.

Langenfeld, den 7. August 2009


Die aktuelle Diskussion um die so genannten Überhangmandate bietet Anlass, bei der vom Verfassungsgericht angestoßenen Neuregelung die vorstehenden grundsätzlichen Überlegungen zur Aufgabe des derzeitigen Zwei-Stimmen-Systems ernsthaft zu diskutieren. Wenn der amtierende Bundespräsident Horst Köhler in seinem Wahlaufruf davon spricht, dass derjenige, der nicht zur Wahl gehe, nicht im Parlament vertreten sei, sollte das auch ernst genommen werden und mehr Sitze leer bleiben, weil die Wähler zu Hause geblieben sind und niemanden abgeordnet haben.

Langenfeld, den 26. September 2009


Die von Herrn Thilo Sarrazin ausgelöste Debatte um die Integration der Migranten und die breite Unterstützung, die er dabei aus der Bevölkerung erfährt, kann zu einer großen Gefahr für unsere Demokratie werden. Schon erheben sich besorgte Stimmen, die vor einem Abdriften der Wähler in das rechtsextreme Lager warnen.

Mit einer Änderung des Wahlrechts, so wie ich das auf dieser Seite vorschlage, lässt sich die Gefahr wenden. Wenn aber dem Wahlbürger nicht die Möglichkeit eingeräumt wird, seinen Unwillen über die vorhandenen Abgeordneten durch Nichtteilnahme an Wahlen zum Ausdruck zu bringen und dadurch ihre Zahl zu reduzieren, bleibt ihm ja nur als einzige Möglichkeit, seinen Protest zum Ausdruck zu bringen, Extreme in die Parlamente zu wählen.

Wenn aber erst einmal wieder Rechtsextreme in den Parlamenten sitzen, dann dauert es Jahre, um gegenzusteuern. Bei meinem Modell haben die nach einer Wahl verbliebenen Abgeordneten der etablierten Parteien aber wenigstens die Chance, wieder ordentliche Politik zum Wohle des Volkes zu machen, ohne sich auch noch mit Extremen herumschlagen zu müssen. Und der Bürger spart sogar noch am Unterhalt der Politiker!

Langenfeld, den 7. September 2010


Lesen Sie bitte auch meine Vorschläge zum
Bürgerrecht auf Volksabstimmung

Hier ein Beispiel, wie unsere Abgeordneten durch Abwesenheit im Parlament die Politikverdrossenheit befördern.


Neues Wahlrecht wird teuer

Jetzt haben sich die BT-Fraktionen auf ein neues Wahlrecht geeinigt, das die Kritik an den Überhangmandaten beheben soll. Unter der Überschrift "Wahlrechtsreform ja, größerer Bundestag nein!" kritisiert der Bund der Steuerzahler diese Reform als zu teuer. Recht hat er damit. Da haben sich die Abgeordneten nach dem Motto "Hauptsache die Posten werden gerettet", auf ein Modell geeinigt, das keinerlei Sinn für notwendiges Sparen erkennen lässt.

Ich habe auch kein Verständnis dafür, dass die jetzt vorgelegte Lösung des Problems wegen des zeitlichen Drucks alternativlos gewesen sei. Die Rüge des Verfassungsgerichts ist ja nicht neu. Schon die letzte Reform war ohne Konsens aller Parteien und nur mit der Macht der Koalitionsmehrheit durchgeboxt worden.

Natürlich wäre es für die Parteien ärgerlich, wenn jetzt kurzfristig die Zahl der Wahlkreise reduziert und damit die bereits erfolgte Kandidatenkür obsolet geworden wäre. Aber wer so schlampige Gesetze macht, sollte auch endlich einmal die Suppe auslöffeln, die er sich eingebrockt hat. Zeit war ja genug.

Ich bleibe bei meinem bereits am 7. August 2009 gemachten Vorschlag, die Mandate nach den tatsächlich erreichten Stimmen zu vergeben. Aufgrund von Einzelstimmen, die in einer Verkleinerung des Bundestages Gefahren für seine Arbeitsfähigkeit sehen, kann man ja eine Mindestzahl von 60% der Regelstärke vorsehen. Das ist jedenfalls sinnvoller, als Überhangmandate durch zusätzliche Mandate auszugleichen und den BT aufzuplustern.

Langenfeld, den 26. Oktober 2012


Diskussion um Leihstimmen

Nach der Niedersachsenwahl mit dem völlig überraschenden Ergebnis, das die FDP einfahren konnte, wird wieder heftig über "Leihstimmen" diskutiert. Wann begreifen diese Polittaktiker eigentlich, dass auch Bürger selbständig denken können?

Der Sympathisant einer kleinen Partei ist darauf angewiesen, taktisch klug zu wählen, will er seiner Wunschkoalition zum Sieg verhelfen. Er weiß, dass sein Kandidat in der Regel keine Chance hat, direkt gewählt zu werden. Warum soll er dann seine Erststimme verschenken?

Ihm bleibt nur eines: Seine Erststimme bekommt der Kandidat der Partei, die er sich als starken Partner für seine kleinere Partei wünscht.

Auf das konkrete Ergebnis der Niedersachsenwahl bezogen bedeutet das, dass nicht die CDU-Wähler die FDP gestützt haben, sondern liberal denkende Wähler die schwarz-gelbe Koalition sichern wollten. Leider sind CDU und FDP dem rot-grünen Lager mit wenigen Stimmen unterlegen.

Wer diese Wahltaktik nicht wünscht, muss das klar sagen. Er sollte dann aber meinem Vorschlag vom 7.8.2009 folgen und auch für die Verkleinerung der Parlamente entsprechend der Wahlbeteiligung eintreten.

Langenfeld, den 22. Januar 2013

Nachträglich gefunden: Die Experten von wahlrecht.de haben bereits dargestellt, wie schief die gesamte Diskussion ist. Sie weisen nach, dass mehr "Leihstimmen" die bisherige Koalition in Hannover gerettet hätten. Das spricht für meine These vom klugen Wähler.


Ergebnis der BT-Wahl 2013

Nach dem Wahldebakel flammt jetzt eine Diskussion um das Wahlrecht auf. Unter der Überschrift "Debatte um Fünf-Prozent-Hürde neu entfacht" berichtet der Stern über die hohe Zahl von verlorenen Wählerstimmen.

Ich habe wegen dieser Diskussion das Wahlergebnis unter dem Aspekt meines oben erläuterten Vorschlags - 100.000 Stimmen für einen Abgeordnetensitz - näher untersucht; das Ergebnis finden Sie in dieser Tabelle. Darin habe ich auch die klassischen Koalitionsmöglichkeiten durchgerechnet. Vertreter derjenigen Parteien, die noch keine Koalition eingegangen sind und neu im Bundestag wären, sind gesondert aufgeführt.

Der Bundestag wäre viel bunter und es drohte keine Gefahr ideologischer Bevormundung der Bürger durch den Staat - versteckt unter dem Deckmäntelchen sozialistischer Wohltaten!

27.09.2013 - zuletzt überarbeitet am 20.11.2013


Neuer Anlass für Politikverdrossenheit

Unter der Überschrift "CDU erhält 690.000 Euro als Spende von BMW-Großaktionären" berichtet die FAZ über eine Spende, die verdächtig nach "Schmieröl" für konkrete Begünstigungen der Autoindustrie riecht. Jedenfalls wird in dem Artikel zu Recht auf die Nähe zur Verschiebung einer Abstimmung zu CO2-Grenzwerten für Autos in der EU ab 2020 auf Druck der unionsgeführten Bundesregierung hingewiesen.

Mich erinnert das an die Spenden nach der Wahl 2009, als kurz danach die "Hotelsteuer" erfunden wurde. Der damals erkennbare Zusammenhang mit einer Spende aus der Hotelbranche hatte mich veranlasst, die FDP zu verlassen.

Wer bestimmt eigentlich die Politik in Deutschland?

15.10.2013

Siehe auch: Umwelt-Label

Die Kritik wird immer deutlicher; so berichtet jetzt die Rheinische Post:
"Kritik an Großspende für CDU reißt nicht ab"

Jetzt berichtet die Rheinische Post: "Ex-Staatsminister und künftiger Autolobbyist Eckart Von Klaeden hatte vertrauliche CO2-Papiere". So wird die Industrie hofiert; nur der "Kleine Mann" wird drangsaliert!


Koalitionsverhandlungen

Mit der sehr treffenden Überschrift "Das geknebelte Parlament" berichtet Zeit-online über die Koalitionsverhandlungen. Lesenswert sind auch die dazu abgegebenen Kommentierungen der Leser.

Ich möchte hier nicht mit langen Ausführungen das wiederholen, was andere bereits geschrieben haben. Ich stimme aber ausdrücklich denen zu, die hervorheben, dass es freien Abgeordneten und der gesamten Demokratie unwürdig ist, wie jetzt um Kleinigkeiten gerungen wird, was alle künftigen Debatten vorweg nimmt. Und auch diejenigen haben recht, die der CDU anraten, eine Minderheitsregierung zu wagen. Dann könnte das Parlament wieder seinem Namen gerecht werden und in lebhaften Debatten um die treffende Lösung von Problemen ringen.

16.11.2013


21.09.2016 - Süddeutsche Zeitung:
"Lammert will Wahlrecht noch vor der Bundestagswahl ändern"

Zitat aus dem Bericht: "Lammert will eine Höchstzahl an Abgeordneten festlegen. Diese "Kappungsgrenze" könne bei der aktuellen Abgeordnetenzahl 630 liegen, aber auch etwas darunter oder darüber, sagt er. "

Soweit ist das ja ok!

Weiteres Zitat aus dem Bericht: "Durch den Lammert-Vorschlag würden also voraussichtlich SPD, Grüne und Linke benachteiligt, da sie nicht mehr für alle Übergangmandate der Union einen Ausgleich bekämen."

Da wird es schwierig!

Für einen grundlegenden Wandel, wie ich ihn oben vorgeschlagen habe, wird die Zeit schon gar nicht reichen!


16.02.2018 - Rheinische Post:
"Verkleinerung des Bundestags droht wieder zu scheitern"

Zitat aus dem Bericht:

"Vorschläge wurden schon zur Genüge diskutiert. Sie sind theoretisch meist akzeptabel. Wenn eine Partei aber ausrechnet, dabei schlechter wegzukommen, stellt sie sich schnell quer. Wer will es etwa den NRW-Abgeordneten verübeln, dass sie einen Ausgleich nicht wollen, der Überhangmandate für die CDU in Baden-Württemberg dadurch reguliert, dass die CDU in NRW weniger Abgeordnete über die Liste bekommt?"

Und zum Schluss heißt es in dem Bericht:

"Die Fraktionen wollen nun auch externen Sachverstand hinzuziehen und Motivforschung im Umfeld des Verfassungsgerichtes betreiben."

Was soll der ganze Länderproporz? Der Föderalismus ist im Prinzip nicht schlecht und hat sich deshalb weitgehend bewährt. Da wir aber schon lange über eine Neuordnung der Länderstrukturen diskustieren, könnte man ja mal beim Wahlrecht für den Bundestag auf die Betonung der Ländervielfalt verzichten und statt der vielen Landeslisten eine einheitliche Bundesliste für jede Partei aufstellen.

Für die Spitzenvertreter der Parteien ist es letztlich egal, aus welchem Bundesland sie stammen. Sie repräsentieren ihre Partei meistens allein. Eine Repräsentanz der Länderinteressen ist durch die Direktkandidaten ausreichend gewährleistet; sie finden sich in der Regel sowieso auf den hinteren Plätzen der öffentlichen Wahrnehmung. Für Parteien, die keine oder kaum Chancen auf Direktkandidaten haben, gilt, sich bundesweit zu einigen, wer die größten Chancen auf ein Mandat haben soll. Das stärkt den innerparteilichen Wettstreit!

Im übrigen sollte man über eine Reduzierung der Wahlkreise das Verhältnis der Zahl der Direktmandate zu der Zahl der Listenmandate neu bestimmen. Die hälftige Teilung ist angesichts der vielen Parteien im Bundestag nicht mehr zeitgemäß. Und um ehrlich um die Wählergunst zu buhlen, könnte man auch meine oben gemachten Vorschläge aufgreifen.


Überhang- und Ausgleichsmandate

Jetzt ist es wieder zum Thema geworden, nachdem sich als Folge des Ergebnisses der LT-Wahl in Bayern der dortige Landtag kräftig ausweiten wird. Aber welcher Wähler versteht es schon, was hinter den Begriffen von Überhang- und Ausgleichsmandaten wirklich steckt?

Nachdem ich in der Wahlanalyse auf Tagesschau.de eine Karte mit den Wahlkreisergebnissen gefunden habe, nach der die Direktmandate fast ausschließlich an die CSU gegangen sind und das zum Teil mit Quoten von deutlich unter 30 %, sehe ich mich veranlasst, einmal an Hand eines ganz simplen Beispiels darzustellen, was da eigentlich durch die Vielzahl der erfolgreichen Parteien passiert.

Stellen wir uns einmal vor,

es sind 100 Mandate zu vergeben und fünf Parteien bewerben sich darum. Sie erzielen alle fünf genau 20% der abgegebenen Stimmen. Nur eine der fünf Parteien ist ganz leicht im Vorteil; sie erzielt in jedem Wahlbezirk jeweils eine Stimme mehr als die 20% und erhält deshalb in allen Wahlbezirken das Direktmandat. Während ihr nach dem Ergebnis der Gesamtstimmabgabe lediglich 20 der zu vergebenden Sitze zustehen, erhält sie nun alle 100 zu vergebenden Sitze, also 80 Mandate mehr, als ihr eingentlich zustehen.

Dieser Überhang von 80 Mandaten wird nun in der Weise ausgeglichen, dass alle anderen Parteien ebenfalls so viele Sitze erhalten, wie die eine Partei an Direktmandaten erzielt hat, damit die Relation wieder stimmig ist. Das bedeutet, dass statt die planmäßigen 100 Sitze mit je 20 Abgeordneten aller Parteien zu besetzen, nun 500 Abgeordnete - also alle Bewerber! - in das Parlament einziehen.

Irre; oder?

Das Beispiel mag extrem sein, aber es zeigt, wohin unser Parlamentarismus abdriftet, wenn wir nicht schleunigst das Wahlrecht für alle Parlamente ändern. Dafür gibt es aber wenig Hoffnung:
FAZ vom 11.10.2018: "Verkleinerung des Bundestages in weiter Ferne"

Meine früheren Vorstellungen, das Zweistimmensystem zu ersetzen, finden Sie oben.

15.10.2018 - überarbeitet am 05.04.2019

Nun auch Erdrutsch in Hessen

Auch bei der Wahl zum Hessischen Landtag zeigt sich wieder das selbe Bild; der LT wird erweitert wegen der Ausgleichsmandate in Folge der vielen Überhangmandate. Viele Direktmandate sind wieder mit häufig unter 30% der abgegebenen Stimmen erreicht worden. Vergleiche hierzu die aktuelle Wahlanalyse auf Tagesschau.de.

Ist das noch eine glaubwürdige Repräsentanz eines Wahlkreises, der einen Mandatsträger abgeordnet hat?

Das Zweistimmenwahlrecht ist eine personalisierte Verhältniswahl. Wie eine Recherche zeigt, ist es weltweit neben Deutschland nur noch in wenigen Demokratien vertreten. Der englische Name dafür ist bezeichnend.

Während das reine Persönlichkeitswahlrecht kleine Parteien benachteiligt, kann das reine Mehrheitswahlrecht dazu führen, dass sogar starke Persönlichkeiten in ihrem eigenen Wahlkreis scheitern.

Vorschlag für ein Mindestquorum

Wenn schon eine schnelle Einigung über eine Änderung des Wahlrechts an der Frage der Ausgleichsmadate und des Länderproporzes sowie einer Neuordnung der Wahlkreise scheitert, sollte man die eigentliche Ursache für das Desaster in den Blick nehmen und Direktmandate künftig nur noch mit qualifizierter Mehrheit vergeben. Das heißt, nur diejenigen Wahlbewerber werden von ihrem Wahlkreis abgeordnet, die mehr als 50% der abgegebenen Stimmen erreicht haben. Alle anderen werden auf die Listenplätze verwiesen.

Dies wäre schon deshalb logisch, weil die Zahl der Wahlkreise der Hälfte der Zahl der zu vergebenden Manate entspricht. Da hatten sich die Erfinder des Zweistimmenwahlrechts und der Festlegung, die Hälfte der Mandate direkt zu vergeben, doch wohl etwas bei gedacht!

Aber damals war die Wahllandschaft auch noch geprägt von lediglich zwei Volksparteien und ihren Hochburgen, in denen sie tatsächlich regelmäßig mehr als die Hälfte der Stimmen holten. - Und die FDP war der Königsmacher, wenn die Volksparteien gleich auf lagen!

Und wenn ob der Vielzahl der Fraktionen in den Parlamenten es immer schwieriger wird, Volkes Meinung zu ergründen, erinnere ich auch hier gerne noch einmal an meine Vorschläge zum Bürgerrecht auf Volksabstimmung.

29.10.2018 - überarbeitet am 29.07.2019

PS: Eine Kurzfassung meiner Überlegungen habe ich der Rheinischen Post als Leserbrief angeboten.

Nachtrag: Bei meinem Vorschlag ist lediglich eine Änderung des § 5 Wahlgesetz erforderlich. Der müsste künftig lauten:

"In jedem Wahlkreis ist der Abgeordnete direkt gewählt, der mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen auf sich vereinigt. Bewerber, die diese Stimmenzahl nicht erreichen, werden gemäß ihrer Platzierung auf der Landesliste gewählt."

Das Lossystem im bisherigen Satz drei entfällt.

Übrigens: Das bisherige Direktwahlsystem darf auch nicht mit einer Stichwahl gerettet werden; dann ändert sich nämlich nichts an dem Schlamassel!

Ich bin mir darüber im Klaren, dass mit diesem Vorschlag in vielen Wahlkreisen kein direkt gewählter Abgeordneter als Ansprechpartner zur Verfügung stehen wird. Aber ein Abgeordneter, der gegen mehr als 70% der abgegebenen Stimmen als Direktkandidat in das Parlament einzieht, wird eben von dieser Mehrheit auch nicht als ihr Repräsentant angesehen.

Da angesichts der sich in den letzten Stunden überstürzenden Spekulationen fraglich ist, wie lange die derzeitige Koalition noch hält und vorgezogene BT-Wahlen erforderlich werden, ist Eile geboten. Alle Vorschläge, die eine Reform der Wahlkreisordnung voraussetzen, sind viel zu schwierig umzusetzen. Mein Vorschlag wäre einfacher und deshalb schneller umzusetzen.

31.10.2018


Blick über den Atlantik

Die USA haben gewählt. Man kann zum Ablauf und Ergebnis stehen wie man will, eines finde ich aber beachtenswert:

Und in Deutschland? Hier entfällt ein Sechstel dieser Einwohnerzahl auf ein Mandat! Oder anders ausgedrückt: Wir leisten uns gemessen an der Einwohnerzahl sechs mal mehr Mandate als die USA. Damit liegen wir zwar mit dem Unterhaus in Großbritannien und der Nationalversammlung in Frankreich in etwa gleichauf, leisten uns aber noch die ganzen Länder-parlamente. Und nicht zu vergessen: Ein Europaparlament gibt es auch noch!

Kein Wunder, dass die Politik kaum noch von der Stelle kommt.

In Deutschland ist dringend eine Länder- und Parlamentsreform geboten. Aber welche Partei traut sich, die Vielzahl der Mandate auf ein sinnvolles Maß zu beschneiden? Meine vorstehenden Ausführungen zu der Zahl der überbordenden Überhang- und Ausgleichsmandate weisen den Weg, wie wir schnellstmöglich Abhilfe schaffen könnten.

09.11.2018


Reform schon wieder gescheitert!

05.04.2019 - Rheinische Post: "Bundestag XXL"

Zitat aus dem Bericht:

"Der Bundestag ist zu groß. Und wenn sich die sechs Fraktionen jetzt nicht am Riemen reißen, wird er bei der nächsten Wahl aus allen Nähten platzen."

Ich verweise ganz schlicht auf meine Extremrechnung!


15.04.2019 - Rheinische Post: "Die Aufgaben eines neuen Wahlrechts"

Zitat aus dem Gastbeitrag von Günter Krings, MdB CDU:

"Für die Akzeptanz des Wahlrechts und damit letztlich für unsere parlamentarische Demokratie ist es gefährlich, wenn die Regeln und Formeln, mit denen Wählerstimmen in Parlamentssitze umgerechnet werden, nur noch nach einem kombinierten Jura- und Mathematikstudium zu verstehen sind. Das Wahlrecht ist so essentiell, dass die normale Schulbildung zum Verständnis ausreichen sollte."

Wie wahr!

Aber das von dem Bundestagsabgeordneten vorgestellte Modell führt auch wieder nur zur Bevorzugung der Volksparteien und erinnert mich an das Wahlrecht einiger Staaten, bei denen der Sieger noch einen Zuschlag erhält.

PS: Hier noch einmal meine Überlegungen in Kurzfassung, die ich der Rheinischen Post erneut als Leserbrief angeboten habe.


Abstimmungsskandal im Bundestag

28.06.2019 - Rheinische Post:
"Wirbel um verweigerten 'Hammelsprung' im Bundestag"

Zitat aus dem Bericht:

"Am frühen Morgen versuchte die AfD, die fehlende Beschlussfähigkeit des Bundestages vorzuführen. Doch die Sitzungsleitung sah ganz viele Abgeordnete auf leeren Plätzen."
(...)
"Fernsehbilder des Bundestages zeigen, dass zu dieser frühen Morgenstunde rund 80 bis 100 Abgeordnete anwesend waren. Beschlussfähig ist das Parlament, wenn die Mehrheit seiner Mitglieder anwesend ist, derzeit also 355 von 709 Abgeordneten."

Dass sich die AfD immer wieder den "Spielregeln" parlamentarischer Abläufe widersetzt, um gegen die Verweigerung eines Sitzes im Präsidium des Deutschen Bundestages zu potestieren, ist eine Problem. Viel schlimmer ist aber die Erkenntnis, dass sich die Parlamentarier immer mehr in Details verkeilen und dann unter Termindruck ( Sommerpause ! ) Gesetze in überlangen Sitzungen bis spät nach Mitternacht durchpeitschen müssen. Da braucht sich jetzt kein Parlamentarier über die zum Teil sehr hämischen Kommentare in den Medien zu wundern.

Ein rechtliches Problem ist aber in der Tat die Frage, ob Gesetze, die entgegen der Geschäftsordnung von weniger Abgeordneten als der Hälfte der gesetzlichen Mitglieder beschlossen worden sind, rechtmäßig zustande gekommen sind. Leider schreibt Artikel 77 GG für ein normales Gesetz kein Mindestquorum vor. Während an anderer Stelle schon mal von der "Mehrheit der Mitglieder des Bundestages" die Rede ist, lautet die maßgebliche Aussage in Artikel 77 Abs. 1 Satz 1 GG:

"Die Bundesgesetze werden vom Bundestage beschlossen."

Hiermit schließt sich der Kreis meiner Anmerkungen auf dieser Seite wieder zu der Frage, wieviel Abgeordnete brauchen wir wirklich im Deutschen Bundestag? Die Qualität der Arbeit soll offensichtlich nicht von der Anzahl der Beteiligten bei der (Schluss-) Abstimmung abhängig sein!


Neuer Vorschlag für eine Parlamentsreform auf Raten

07.11.2019 - Rheinische Post: "Wir brauchen eine grundlegende Politikreform"

Zitate aus dem Gastbeitrag von Peter Altmeier:

"Es geht längst nicht mehr um irgendeinen neuen Vorsitzenden, Kanzlerkandidaten oder Minister, es geht auch nicht um den soundsovielsten Koalitionskompromiss, es geht um grundlegende Fragen des Vertrauens und der Akzeptanz. Dazu müssen wir alle zu grundlegenden Politikreformen bereit sein, auch dann, wenn sie schmerzhaft sind, weil sie eigene Besitzstände in Frage stellen oder scheinbar zu Lasten der eigenen Interessen gehen."

"So ist die Verkleinerung des Bundestages seit zehn Jahren überfällig. Wir haben mit 709 Abgeordneten ein viel zu großes Parlament. Eine solche Größe reduziert die Bedeutung des einzelnen Abgeordneten und schadet der Arbeitsfähigkeit des Parlaments. (...) Die Zahl der Abgeordneten sollte alle vier Jahre um 40 Sitze reduziert werden, bis eine angemessene Zahl erreicht ist."

"Wir müssen in der Politik auch unsere Debattenkultur überdenken. Wir brauchen Formate, mit denen Debatten auch außerhalb von Wahlen möglich sind. Soziale Medien und Internet verlangen heute vom Regierungshandeln mehr Transparenz und Interaktionsfähigkeit als früher. Und sie zeigen eindrucksvoll, dass sich Bürgerinnen und Bürger beteiligen wollen."

"Informelle Gremien, zum Beispiel die Koalitionsausschüsse, haben in solchem Maße zugenommen, dass die formell zuständigen Gremien entwertet werden."

Bei soviel Einsicht stellt sich doch die Frage, warum da nicht längst etwas erreicht worden ist. Nach meiner Erinnerung ist es doch immer wieder die CDU/CSU-Fraktion gewesen, die die Abschaffung der Überhangmandate verhindert hat. Sie hat von diesem System der Parlaments-Aufblähung doch am meisten profitiert. Wie man das mit einem Mindestquorum ganz leicht ändern kann, habe ich auch schon erläutert.

Und was die Debattenkultur betrifft, ist es ja schön, dass Herr Altmeier erkannt hat, dass sich die Bürger mehr beteiligen wollen. Ich habe ihm deshalb meine in diesem Jahr an ihn gerichteten Mails zu fünf verschiedenen Themen aufgelistet und aufgefordert, diese endlich zu beantworten, und bin gespannt, ob seine heutigen Worte ernst gemeint sind. Im übrigen verweise ich auf meine Ausführungen zum Bürgerrecht auf Volksabstimmung.

Neben den von Herrn Altmeier beklagten Gremien gibt es auch gesetzlich abgesicherte Räume der Hinterzimmerpolitik. Diese befinden sich in der gerade dem Bürger besonders nahen Kommunalverwaltung. Lesen Sie dazu bitte meine Anmerkungen betreffend Transparenz kommunaler Selbstverwaltung und den Antrag vom 18. Dezember 2006 zur Änderung des Gesellschaftsrechts. Damals war ich noch selbst kommunalpolitisch aktiv und hatte schlechte Erfahrungen mit der Bevormundung des Verkehrsausschusses durch die Stadtentwicklungsgesellschaft gemacht und deshalb diesen Antrag der FDP-Fraktion im Rat der Stadt Langenfeld initiiert. Geschehen ist seither nichts.

Diese Anmerkungen möchte ich schließen mit dem Hinweis auf die Überschrift dieser Seite. Sie passt noch immer; dazu Peter Altmeier in dem Gastbeitrag:

"Die Zufriedenheit der Regierten mit ihren Parteien und Regierungen ist eher noch weiter abgesunken."

Es ist noch viel zu tun; die Politiker sollten es endlich anpacken!


Schon wieder eine Idee von und zum Vorteil der CDU

27.12.2019 - Tagesschau.de: "Union kämpft für Grabenwahlsystem"

Zitate aus dem Bericht:

"24 Parlamentarier der Unionsfraktion schlugen in einem Brief an Fraktionschef Ralph Brinkhaus vor, die Zahl von 598 Bundestags-sitzen festzuschreiben. Davon sollten nur noch 299 Mandate gemäß den Zweitstimmenanteilen zwischen den Parteien aufgeteilt werden. Die anderen 299 Sitze sollten unabhängig davon nach dem Mehrheitswahlrecht an die Gewinner der Direktmandate gehen."

"Hätte dieses System bei der Bundestagswahl 2017 gegolten, hätten CDU und CSU zusammen rund 335 von 598 Mandaten erhalten und damit eine absolute Mehrheit der Sitze gewonnen. Durch das geltende Wahlrecht kamen die Unionsparteien nur auf 246 von 709 Sitzen."

Komisch; Ideen werden von der CDU/CSU nur produziert, wenn sie sich zum eigenen Vorteil nutzen lassen. So wird das nie etwas mit einem Bundestag, der den Willen des Volkes spiegelt.

Angesichts der sich entwickelten Parteienlandschaft, ist es nicht mehr gerecht, Direktmandate nach der einfachen Mehrheit zu vergeben. Ich bin für ein Mindestquorum! Und das sollte eben die absolute Mehrheit sein; bei jedem anderen Direktwahlsystem hat der "Gewinner" mehr als die Hälfte der Wähler gegen sich. So kann er "seinen" Wahlkreis nicht wirklich repräsentieren.


Gehampel ohne Ende

29.01.2020 - Rheinische Post: "Wahlrechtsreform steht auf der Kippe"

Zitat aus dem Bericht:

"Die Redensart, wonach man nicht die Frösche fragen sollte, wenn man einen Sumpf trockenlegen möchte, kann einem beim Blick auf das Ringen um eine Wahlrechtsreform in den Sinn kommen."

Eine treffende Einleitung!

Ich habe mich in jüngster Zeit mehrfach an die Spitzen der Volksparteien gewandt. Nachstehend Zitate aus meinen Mails:

An die CDU/CSU:

"(...) am Wochenende geisterte wieder das Thema Wahlrecht durch die Medien. Soll wirklich ein ganzes Containerdorf für Abgeordnete gebaut werden, weil die Politik es nicht schafft, das ausufernde Wahlrecht in den Griff zu bekommen? Was sind denn da für Luschen am Werk? Wahrscheinlich haben diejenigen Überhand gewonnen, die als gute Vereinsmeier aufgestellt und mit knapper einfacher Mehrheit mit einem Direktmandat ausgestattet worden sind. Die Politiker - gerade diejenigen der CDU/CSU - machen sich immer lächerlicher. Wahrscheinlich werden Sie erst wach, wenn die Direktmandate von der AfD abgeräumt werden."

An die SPD:

"(...) ich kann das Gehampel um das Wahlrecht nicht mehr hören (...). Auch Ihre Einlassungen heute Abend in den Nachrichten waren nicht gerade aufschlussreich.

Die "Volksparteien" werden wohl erst wach, wenn die extremen Parteien die Masse der Direktmandate abräumen - mit 30% Mehrheit in den Wahlkreisen!

Mein Vorschlag (...) geht davon aus, dass Direktmandate nur noch mit einer absoluten Mehrheit von 50% vergeben werden. Wenn damit schleichend nur noch die reine Verhältniswahl zum Tragen kommt, sehe ich darin keinen Verlust an Demokratie. Ganz im Gegenteil: Was nutzen dem Wähler "Abgeordnete", die vor Ort 70% der Wähler gegen sich haben? Nur weil sie als prima Vereinsmeier aufgestellt worden sind? Das hat was von Besenstiel!"


Wahlrechtsreform im Lichte der Corona-Pandemie

Ich habe jetzt folgenden Leserbrief an die Rheinische Post gerichtet:

Zur Begrenzung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandmie hat die Politik viel Geld in die Hand genommen und darüber auch in Windeseile Konsens erzielt. Eine Höchtsleistung an Einigkeit und Schnelligkeit! Irgendwann wird es jetzt aber darum gehen, die immensen Kosten auch zu finanzieren. Da werden auf alle Bürger erhebliche Steuerbelastungen zukommen.

Es wäre fatal, wenn daneben noch Kostensteigerungen für einen weiter aufgeblähten Bundestag anfallen, weil es die Parteien nicht schaffen, rechtzeitig vor der nächsten Bundestagswahl das Wahlrecht so zu ändern, dass es endlich ein Ende hat mit den vielen Überhang- und Ausgleichsmandaten. Die Totalverweigerung der CDU/CSU ist nicht mehr zu ertragen.

Das Gehampel um eine Reform kann ohne viel Aufwand beendet werden, indem man den § 5 Wahlgesetz wie folgt ändert: "In jedem Wahlkreis ist der Abgeordnete direkt gewählt, der mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen auf sich vereinigt. Bewerber, die diese Stimmenzahl nicht erreichen, werden gemäß ihrer Platzierung auf der Landesliste gewählt."

Direktkandidaten, die nur aufgestellt worden sind, weil sie vor Ort gut in den Vereinen vernetzt sind, aber weniger als 50% der Wähler erreichen, haben eben auch mehr als die Hälfte der Wähler gegen sich. Als persönliche Vertreter aller Wähler eines Wahlkreises können sie somit nicht gelten.

Für eine Umsetzung dieses Vorschlags ist auch noch genügend Zeit. Es ist weder eine Neuordnung der Wahlkreise erforderlich, noch berührt dieser Vorschlag die Nominierung der Kandidaten und die Aufstellung der Landeslisten. Die Vorbereitungen innerhalb der Parteien können ungehindert ablaufen. Entscheidend ist allein die rechtzeitige Änderung eines Paragraphen des Wahlgesetzes.

Um die Problematik anschaulich zu machen, verweise ich noch einmal auf meine Extremrechnung!

22.04.2020

PS: Trotz Erinnerung bisher nicht veröffentlicht. Offensichtlich besteht bei der RP kein sonderliches Interesse, Druck auf die CDU auszuüben!


So bastelt der Bundestag Kompromisse!

27.06.2020 - Tagesschau.de: "Bundestag mit 750 Abgeordneten?"

Zitat aus dem Bericht:

"Demnach sollen die Mandate im Deutschen Bundestag künftig gedeckelt werden. Maximal 750 Abgeordnete hätten dann noch einen Platz im Parlament. Darüberliegende Mandate sollen gekappt werden - und zwar im Wechsel ein ausgleichsloses Überhangmandat und ein nicht zugeteiltes Direktmandat.
Das würde vor allem Direktmandate aus Wahlkreisen betreffen, die prozentual die wenigsten Erststimmen erhalten haben. Betroffen wären alle Parteien.
Langfristig sei bis 2025 eine umfassende Wahlrechtsreform mit weniger Wahlkreisen geplant."

So kann man sich prima einigen; einfach noch einmal 41 Mandate zusätzlich gegenüber dem jetzigen Stand zulassen. Was besseres fällt den Diätenbeziehern nicht ein.

Eine echte Begrenzung der Mandate nach meinem Vorschlag würde Mandate kosten, sie aber eben auf die in § 1 Wahlgesetz manifestierte Zahl von lediglich 598 Abgeordnete reduzieren. Somit bedeutet der Kompromiss-vorschlag, dass sich die Abgeorndeten eine Mehrzahl von über 150 (!) über den Durst genehmigen. Das soll das Volk billigen?


Die Verblendung der Politiker

Mit dem Vorschlag des Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion ist in den letzten Stunden endlich Bewegung in die Diskusion um die Reform des Wahlrechts gekommen. Zu verstehen ist diese aber nicht.

Unter Juristen gibt es eine uralte Weisheit: "Ein Blick in das (Grund-) Gesetz erleichert die Rechtsfindung ungemein!" Dann machen wir das doch und schauen uns Artikel 38 Grundgesetz mal näher an:

"(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz."

Wo ist da irgend etwas vorgeschrieben, dass das unsägliche Erst- und Zweitstimmenverfahren mit seinen Überhang- und Ausgleichsmandaten grundgesetzlich absichert? Ich finde keine Garantie für die bisher geltenden Abstimmungsregeln!

Deshalb ist es ohne jeden Zweifel möglich, dieses Verfahren entweder ganz aufzugeben, oder zumindest in dem Sinne meines Vorschlags zu ändern, nach dem nur der Abgeordnete direkt gewählt ist, der mehr als die Hälfte der (Erst-) Stimmen auf sich vereinigt.

Und diese Gesetzesänderung ist mit einfacher Stimmenmehrheit zu verabschieden. Wo ist da eigentlich die Schwierigkeit für eine dringend erforderliche Neuregelung?

Die ganze Diskussion der Politikerkaste wird doch nur deshalb so kompliziert geführt, weil sie ihre Futtertröge nicht gefährden wollen!

30.06.2020

PS: Nicht zu vergessen, dass ich oben bereits einen Vorschlag gemacht hatte, der dazu führt, dass sich die Zahl der Sitze im Bundestag nach der Summe der tatsächlichen Stimmabgabe richtet. - Ein Verhältniswahlrecht, das auch die Wahlbeteiligung widerspiegelt! Damit fände auch der durch Wahlenthaltung zum Ausdruck gebrachte Bürgerfrust eine Sichtbarkeit im Bundestag.

09.07.2020


Neuer Versuch einer Einigung

25.08.2020 - Tagesschau.de: "Kommt es zum XXL-Bundestag?"

Zitat aus dem Bericht:

"Die SPD verfolgt einen gänzlich anderen Ansatz. Sie will einen Deckel. Bei 690 Abgeordneten soll Schluss sein. Danach soll gekappt werden und zwar nach dem Motto: Der Schwächste fliegt. Die Direktkandidaten, die ein Überhangmandat auslösen und die wenigsten Stimmen bekommen, sollen unberücksichtigt bleiben. Damit entfielen entsprechend auch die Ausgleichsmandate."

Das kommt meinem Vorschlag von einem Mindestquorum schon deutlich näher, auch wenn dann immer noch Wahlkreisvertreter in den Bundestag einziehen, die mehr Stimmen gegen sich als für sich erzielt haben!

Und wenn man sich gar nicht auf eine neue Mathematik zur Verteilung der Mandate einigen kann, sollte man ganz einfach das personalisierte Verhältniswahlrecht aufgeben und durch ein einfaches Verhältniswahlrecht ersetzen.

PS: Der in der Nacht gefundene Minimalstkompromiss ist es aus meiner Sicht nicht wert, kommentiert zu werden!


Übrigens; auch bei der Kommunalwahl führen Überhang- und Ausgleichsmandate zur Erweiterung der Ratssitze. Siehe das Wahlergebnis von Langenfeld:
Bürgermeister und CDU deutlich abgewatscht


11.04.2021 - Süddeutsche Zeitung: "Weiter keine Wahlrechtskommission"

Zitate aus dem Bericht:

"Union und SPD hatten Ende August 2020 in einem nur mühsam zustande gekommenen Kompromiss eine Wahlrechtsreform zur Verkleinerung des Bundestags in zwei Schritten vereinbart. Mit ihren Stimmen wurde am 8. Oktober das Bundeswahlgesetz entsprechend geändert. In der ersten Stufe für die Bundestagswahl im September wurden nur Kleinigkeiten am Wahlrecht geändert. Kritiker stufen diese als weitgehend wirkungslos ein. Selbst Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) stimmte damals nicht für die Wahlgesetzänderung."

Die nächste Wahl wird den Bundestag unnötig aufplustern!


Nach der Entscheidung des BVerfG

14.08.2021 - Rheinische Post: "Die gelbe Karte der Richter für die Parteien"

Zitate aus dem Kommentar:

"Das Bundesverfassungsgericht hat dem Wahlrecht, wie es die Koalition gegen die Stimmen der Opposition durchgedrückt hat, eine gelbe Karte gezeigt."

"Wer vor Ort von den Wählern definitiv gewählt ist, darf seinen Sitz nicht mehr verlieren. Aber er muss sich fragen lassen, was diese 'Mehrheit' wert ist, wenn er zwar von allen Kandidaten die meisten Stimmen bekommen hat, letztlich aber nur ein Fünftel aller Wähler hinter ihm steht."

Da hat endlich mal ein Kommentator meine Argumentation ins Feld geführt. Vielleicht hat er sich an meinen Leserbrief vom 29.10.2018 erinnert! Er macht zum Schluss den Vorschlag, eine Stichwahl durchzuführen, wenn keiner der Bewerber die absolute Mehrheit erreicht hat. "Dann können sich auch kleinere zusammentun und den Stärksten von ihnen durchbringen."

Ich habe inzwischen noch einmal führende CDU/CSU-Leute angemailt und auf diesen Kommentar der RP hingewiesen mit der Forderung, das Wahlgesetz doch noch rechtzeitig zu ändern. Wenn es um Hilfspakete geht, konnte der Bundestag auch sehr schnell entscheiden.


Mein Beispiel zum Wahnsinn des Wahlrechts finden Sie hier!


Wieder so eine kuriose Wahlspekulation

10.09.2021 - Tagesschau.de: "Parteitag in Nürnberg - CSU bläst zur Attacke"

Zitate aus dem Bericht:

"Letztlich könnte der Sinkflug in den Umfragen der CSU aber weniger schaden als gedacht. Denn der Aufstieg der SPD in den Umfragen könnte der CSU paradoxerweise mehr Direktmandate sichern. Wenn sich etwa in den vier Münchner Wahlkreisen, wo es lange nach klarem Erststimmen-Sieg für die Grünen aussah, die Stimmen jetzt wieder auf Rot und Grün verteilen, könnte die CSU auch mit knapp 30 Prozent noch die Direktmandate holen - und damit zumindest die absolute Zahl ihrer Abgeordneten fast gleich halten."

Wieder ein Beispiel, warum die Vergabe der Direktmandate dringend einer Reform bedarf!


Ergebnis der BT-Wahl-2021

Der Bundeswahlleiter hat jetzt das Ergebnis der BT-Wahl-2021 bekannt gemacht:

Und die Befürchtungen sind eingetreten; der BT wird nochmals deutlich größer. Sieht man sich weitere Übersichten an, stellt man fest, dass Direktmandate - von Ausnahmen abgesehen - durchweg mit einer Quote von rund 30% Wählerstimmen geholt worden sind.

Damit ist zwar nicht die frühere Befürchtung eingetreten, der Bundestag könne auf 750 Sitze oder gar mehr anschwellen, aber auch mit dem aktuellen Ergebnis stellt sich die Frage, ob das Maß nicht überschritten ist. Die Abweichung von der Regelzahl der Sitze ist eklatant. Der neue BT sollte endlich den Mut aufbringen, das zu ändern; Vorschläge für eine druchgreifende Reform liegen längst auf dem Tisch.

Übrigens; in Bayern hat die CSU 45 der 46 Wahlkreise mit der Erststimme direkt geholt; teilweise mit unter 30%. Dabei hat sie gerade mal 5,2% der Zweit-stimmen erhalten; dafür hätten ihr rund 30 Sitze zugestanden. Mit diesem Überhang von 15 Sitzen trägt die CSU wesentlich zur Vergrößerung des BT durch Ausgleichsmandate bei. Kein Wunder, dass die CSU immer wieder die treibende Kraft war, eine Reform des Wahlrechts zu verhindern. Jetzt sollte eine neue Mehrheit im BT endlich klare Kante zeigen.

27.09.2021


Doch noch eine Reform möglich?

04.07.2022 - Rheinische Post:
"Ampel-Fraktionen bringen neues Wahlrecht auf den Weg"

Zitate aus dem Bericht:

"Vorgesehen ist, dass die Sitzverteilung strikt nach den Zweit-stimmenergebnissen zwischen den Parteien erfolgt, die mehr als fünf Prozent der Stimmen erhalten. Die Zahl der Mandate wäre damit auf 598 festgelegt. Erreicht künftig eine Partei in den weiterhin 299 Wahlkreisen mehr Direktmandate als ihr nach dieser Berechnung zustehen, sollen davon diejenigen mit dem niedrigsten Erst-stimmenanteil nicht mehr zugeteilt werden."

Weil es dann aber Wahlkreise ohne einen (direkt) gewählten Abgeordneten geben könnte, sollen die Wähler in einer "Zweitpräferenz" schon mal einen Ersatzabgeordneten bestimmen. Und der kommt auch nur dann zum Zuge, wenn seiner Partei dafür auch ein Sitz zusteht.

Da halte ich meinen Vorschlag noch immer für besser. Denn der Reform-vorschlag sorgt weiterhin dafür, dass sich viele Direktmandate nur auf eine schwache Basis berufen können. Ein Mangel, den ich schon bei meinem Vorschlag erläutert habe.

Und wenn die Union bereits mit Verfassungsbeschwerde droht, sollte eine Wahlrechtsreform auch von vorn herein zu klaren Ergebnissen führen. Erst- und Zeitpräferenzen sind schwammig und bieten nur viele Unzulänglichkeiten, aber keine Wahlperspektive, auf die sich Wähler verlassen können.

Vielleicht sollte man deshalb auch noch einmal meine Überlegungen ganz am Anfang dieser Seite bedenken. Ich habe nämlich Zweifel, ob die Wähler angesichts der wachsenden Probleme wirklich auf die Persönlichkeiten vor Ort setzen, oder ob sie doch lieber den Persönlichkeiten an den Parteispitzen vertrauen und sich deshalb vorrangig für eine Partei entscheiden.


Radikaler Kürzungsvorschlag

01.12.2022 - Süddeutsche Zeitung: "Bas: Bundestag muss kleiner werden"

Zitate aus dem Bericht:

"Wenn es nach der Parlamentspräsidentin geht, würden dem nächsten Bundestag also 138 Abgeordnete weniger angehören als bisher. SPD, Grüne und FDP haben sich in ihrem Koalitionsvertrag lediglich darauf verständigt, dass das Parlament 'in Richtung' der gesetzlichen Regelgröße verkleinert werden soll."

Ein mutiger Vorschlag der Bundestagspräsidentin, die Zahl der Abgeordneten auf die gesetzliche Zahl von 598 zurückzuführen!

Damit dieser Vorschlag umgesetzt wird, bedarf es wohl harter Bandagen. Die "überschüssigen" Abgeordneten werden um ihre Posten kämpfen.

Nachtrag vom 13.12.2022:

Ich hatte der Bundestagspräsidentin zu ihrem mutigen Vorschlag gratuliert und habe jetzt diese Antwortmail aus ihrem Büro erhalten.

Zitat daraus:

"Seien Sie also versichert, dass der Bundestagspräsidentin an einer möglichst schnellen und in der Sache tragfähigen Lösung gelegen ist. Es ist ihr Wunsch, dass ein entsprechendes Gesetz von einer möglichst breiten parlamentarischen Mehrheit getragen wird. Schließlich stellt das Wahlrecht eine Grundsatzfrage des politischen Wettbewerbs dar. Frau Bas kann zwar eine Einigung nicht anordnen, wird aber ihr Amt als Bundestagspräsidentin weiterhin dafür nutzen, um sich entschieden für eine umfassende Reform einzusetzen."


Endlich wird es ernst!

15.01.2023 - Süddeutsche Zeitung:
"Ampel will Bundestag deutlich verkleinern"

Zitate aus dem Bericht:

"Die Koalition einigt sich auf einen Gesetzentwurf: Statt bisher 736 Abgeordneter soll es künftig nur noch 598 geben."

"Es soll künftig keine Überhang- und Ausgleichsmandate mehr geben. Dadurch wird der Bundestag immer seine Normgröße von 598 Abgeordneten haben. Dadurch kann es aber passieren, dass ein Kandidat, der die meisten Stimmen in einem Wahlkreis erzielt, trotzdem nicht in den Bundestag einziehen darf."

"Bei der vergangenen Bundestagswahl gab es mehr als 80 Wahlkreise, in denen der Sieger nicht einmal auf 30 Prozent kam. Ein Wahlkreis wurde sogar mit 18,6 Prozent gewonnen."

Bei meinem Vorschlag hatte ich ebenfalls gerügt, dass nach dem derzeit geltenden Wahlrecht Bewerber ein Wahlkreismandat ohne eine überzeugende Mehrheit erreichen können. Mit dem Vorschlag einer Reform wird dieses Ergebnis endlich abgeschafft werden. Hoffen wir, dass der Vorschlag auch Gesetz wird.

Weiterer bericht auch auf Tagesschau.de:
"Ampel legt Entwurf für Wahlrechtsreform vor"


Chancen für Reform steigen

18.01.2023 - Süddeutsche Zeitung:
"Widerstand gegen Wahlrechtsreform bröckelt"

Zitate aus dem Bericht:

"Die Christsozialen würden gerne gegen die Wahlrechtsreform der Ampelkoalition klagen. Doch unter CDU-Abgeordneten gibt es Vorbehalte dagegen."

"Der Ton, in dem CSU-Generalsekretär Huber den Gesetzentwurf der Ampel verurteilt hat, wird bis in die CDU-Spitze hinein als unpassend erachtet. Außerdem weisen mehrere CDU-Abgeordnete in Gesprächen darauf hin, dass eine Klage der Union gegen das Ampel-Gesetz bei den Bürgern als eine Klage gegen die Verkleinerung des Bundestags wahrgenommen werde und deshalb schlecht ankommen könnte. Zudem sei gar nicht sicher, dass man die Klage gewinnen werde."

Auch ich kann der Union nur raten, die Reform nicht zu blockieren, sondern ihr zuzustimmen. Es ist den Bürgern nicht mehr zuzumuten, dass Bewerber in den Bundestag einziehen, die gegenüber ihren vielen Mitbewerbern zwar einen kleinen Vorsprung erringen konnten, denen aber eine große Mehrheit aller Stimmen entgegen steht. Sie sind in keiner Weise legitimiert, einen Wahlkreis zu repräsentieren. Das kann man nur mit einer absoluten Mehrheit aller Stimmen; vergleiche meinen Vorschlag für ein Mindestquorum!

PS: Wenn jetzt Kritik aus einigen Ecken der Politik kommt, dass bei dem Modell der Ampel einige Wahlkreise keinen Abgeordneten stellen könnten, ist zu fragen, wer denn die Politik einer Partei bestimmt? Schon am 29.01.2020 habe ich angemerkt, dass prima Vereinsmeier keinen guten Abgeordneten garantieren. Mir ist es egal, ob ein Abgeordneter aus meiner Region kommt; Hauptsache er gestaltet Politik auf der Grundlage solider Fähigkeiten.


CSU torpediert Wahlrechtsreform

06.03.2023 - Süddeutsche Zeitung:
"Verkleinerung des Bundestags entzweit Schwesterparteien"

Zitate aus dem Bericht:

"(...) die CSU behauptet, dass die Ampel mit ihrem Gesetzentwurf 'die Axt an die Grundlagen der Demokratie legen' würde. CSU-Generalsekretär Martin Huber warf der Ampel sogar eine "organisierte Wahlfälschung" vor, die ihn an 'Schurkenstaaten' erinnere. In der CDU ist man über diese Tonlage entsetzt."

"Norbert Lammert und Wolfgang Schäuble (beide CDU) hatten in ihrer Zeit als Bundestagspräsidenten die Union gewarnt: Wenn ihr nicht selbst eine Wahlrechtsreform beschließt, werden das irgendwann andere tun."

"Doch die CSU beharrte immer eisenhart auf ihren Interessen und blockierte damit eine wirksame Reform."

"Die Christsozialen haben angekündigt, gegen das Ampelgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht klagen zu wollen. Aus Sicht der meisten in der CDU-Spitze ist das ein Fehler - auch weil sie glauben, dass die Klage vermutlich erfolglos sein wird."

Lässt man die vielen Anmerkungen auf dieser Seite Revue passieren, ist dem Urteil in diesem Artikel voll und ganz zuzustimmen. Die CSU ist der größte Nutznießer der Regelungen zu den Überhang- und Ausgleichsmandaten gewesen. Sie trägt die größte Schuld an der Aufblähung des Bundestages. Die sie treffenden Einbußen sind zwar schmerzhaft, aber doch gerecht.

Übrigens; gegenüber meinem radikalen Vorschlag für ein Mindestquorum hat die CSU mit der jetzt geplanten Regelung noch immer die Chance, Bewerber mit nur geringer Mehrheit zu einem Mandat zu verhelfen. Unabhängig vom Listenplatz!


Hat die Ampel ihren Mut verloren?

12.03.2023 - Süddeutsche Zeitung:
"Bundestag wird von 736 auf 630 Sitze verkleinert"

Zitate aus dem Bericht:

"Eigentlich [ wollte die Ampel ] das Parlament sogar auf 598 Abgeordnete reduzieren. Davon haben sie jetzt aber Abstand genommen."

"Wenn es bei weiterhin 299 Bundestagswahlkreisen insgesamt 630 statt 598 Abgeordnete gibt, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Wahlkreissieger keinen Anspruch auf einen Sitz im Bundestag hat."

Da haben ganz offensichtlich auch einige Abgeordnete der Ampel Angst um ihr Mandat bekommen. - Laut Bericht insbesondere Abgeordnete der FDP!

Aber letztlich egal; Hauptsache der Bundestag bildet das Wahlergebnis zutreffend ab und wird nicht mehr aufgeblasen.

Hier noch einmal ein Rückblick auf die aktuelle Entwicklung.


Ein sehr guter Bericht über die Entwicklung des Wahlrechts findet sich in der Süddeutschen Zeitung:
So ist halt die Politik: Ohne Schmerzen keine Therapie


Der Kernsatz meiner Kritik am bisherigen Wahlrecht lautet:

Wer mit immer weniger Stimmen einen Wahlkreis "gewinnt",
hat immer mehr Wähler gegen sich.

So kann man nicht als "Abgeordneter" eines Wahlkreises angesehen werden; man ist nur Interessenvertreter einer Minderheit.


Endlich geschafft!?

17.03.2023 - Tagesschau: "Bundestag beschließt Reform des Wahlrechts"

Zitat aus dem Bericht:

"Nach einer sehr hitzigen Debatte hat das Parlament die Reform des Wahlrechts beschlossen. In namentlicher Abstimmung sprachen sich 400 Abgeordnete dafür aus. Union und Linke haben bereits Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt."

Die angekündigten Klagen sehe ich kritisch; wer bundesweit nur eine geringe Wählerschaft hinter sich hat, sollte sich etwas kleinlauter verhalten. Für die CSU besteht immerhin die Möglichkeit, mit der CDU zu fusionieren und sich als bayerischer Landesverband einzubringen.

Will die CSU aber als Regionalpartei ihre Eigenständigkeit behalten, muss sie bei der Bewerbung um Bundestagsmandate eben mit dem Risiko der 5 % - Klausel leben. Bei Nichteinzug in den Bundestag hat sie immer noch über den Bundesrat eine Mitwirkungsmöglichkeit. Eigenwilligkeiten und Überheblichkeits-gefühle mit einer Klage vor dem BVerfG durchsetzen zu wollen, ist keine Alternative.


Bei der Nachrichtenlektüre gefunden:

"Verfassungsrechtlich gibt es überhaupt keine Pflicht, regionale Elemente zu berücksichtigen."

"Aber wissen Sie, was in der aktuellen Diskussion häufig zu kurz kommt? Dass es im Grunde eine eigenständige Entscheidung der CSU ist, nur in Bayern anzutreten. Wir haben eine Partei, die bundespolitisch auftritt, in den Bundestag möchte, aber gleichzeitig sagt: Ich möchte meine Prozente ausschließlich in Bayern holen. Nur ist die CSU jetzt eben in der Situation, dass sie in Bayern weniger Wählerstimmen gewinnt als sie das traditionell getan hat."

Quelle: Süddeutsche Zeitung: "Es ist nicht die Aufgabe des Wahlrechts, die CSU möglichst optimal abzusichern"

Dieses Interview mit dem Staatsrechtsprofessor Christoph Schönberger stützt auch meine Auffassung, die ich vorstehend zum Ausdruck gebracht habe.

Es wird in dem Interview auch ausgeführt, wie es überhaupt zu der jetzt abgeschafften Grundmandatsklausel unter Adenauer gekommen ist, um Bündnisse zu schmieden, und warum dagegen schon immer Bedenken bestanden.

21.03.2023

"Warum Markus Söder findet, dass die Ampelkoalition die Wahlrechtsreform nicht nachbessern, sondern ganz zurücknehmen sollte, was ihn gerade an den Grünen so stört und wieso Bayern nun einmal erwiesenermaßen besser sei als der Rest der Republik."

Quelle: Süddeutsche Zeitung: "Markus Söder im Interview"

24.03.2023

Es ruckelt noch!

"Mitte März hat der Bundestag das neue Wahlrecht beschlossen, Mitte Mai hat es der Bundesrat passieren lassen. Doch wer glaubt, damit sei das neue Recht schon in Kraft, kennt die Verfassung nicht. Im Grundgesetz steht, dass Gesetze erst 'vom Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung ausgefertigt' werden müssen. Frank-Walter Steinmeier hat deshalb ein Problem."

Quelle: Süddeutsche Zeitung: "Der Bundespräsident in der Bredouille"

05.06.2023

"Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am Donnerstag das Gesetz zur Änderung des Wahlrechts unterschrieben, die Reform kann damit in Kraft treten."

Quelle: Süddeutsche Zeitung: "Steinmeier unterschreibt das neue Wahlrecht"

Spannend wird es jetzt, ob die CSU und die Linke Verfassungs-beschwerte einlegen und wie das BVerfG darüber entscheidet. Die CSU könnte sich das - wie vorstehend dargelegt - sparen, wenn sie einfach mit der CDU fusioniert; ihr Geschrei ist deshalb völlig unverständlich.

08.06.2023


Weitere Änderungen des Wahlrechts in der Diskussion

Unter der Überschrift "Wahlperiode könnte verlängert werden" berichtet die Tageschau darüber, dass sich neue Mehrheiten für die Reform gefunden haben. Und das wäre wirklich eine gute Sache, um die Überschneidungen von Wahlterminen zu begrenzen.

In fünf Jahren kann zudem mehr auf den Weg gebracht und gründlicher beraten werden. Bei der bisher gültigen vierjährigen Wahlperiode geht viel zu viel Zeit mit der Regierungsfindung und dem früh einsetzenden Wahlkampf vor dem nächsten Termin verloren.

29.04.2023


Landtagswahlen in Krisenzeiten

09.10.2023 - Rheinische Post:
"Wähler in Bayern und Hessen watschen Ampel ab"

Zitat aus dem Bericht:

"SPD und FDP erleben ein Debakel. Und die Grünen müssen sich fragen, warum ihre Politik im Bund keinen Rückenwind für die Wahlkämpfer brachte. Zudem ist klar geworden: Die Erfolge der AfD sind nicht mehr nur ein ostdeutsches Massenphänomen."

Aufgrund der vorausgegangenen Umfragen konnte man das Ergebnis schon erahnen. Aber woran liegt es, dass die Landtagswahlen in zwei großen Bundesländern ein so eindeutiges Zeichen gegen die Regierenden in Berlin setzen?

Mir fällt dazu nur ein alter Spruch ein, den ich schon vor Jahrzehnten einmal geprägt habe:

Man kann Wohltaten zwar mit der Suppenkelle austeilen,
sie aber nicht einmal mit dem Teelöffelchen zurückholen.

Wir leben in einer Zeit weltweiter Krisen. Vom Klimawandel, der sich inzwischen in vielfältiger Weise zeigt, angefangen, über Corona, den Krieg Putins gegen die Ukraine, die weltweite Flüchtlingswelle und jetzt auch noch Krieg in Israel! Da braucht es eine Politik, die Lösungsansätze entwickelt, sie erklärt und so die Bürger mitnimmt bei den notwendigen Entscheidungen.

Aber was macht die Politik? Sie gaukelt den Menschen vor, dass sie alles irgendwie in den Griff bekommen könne, ohne den Wohlstand, das Wohlgefühl, zu stören. Und die Einschränkungen, die trotzdem hingenommen werden müssen, treffen meistens nur die sowieso schon Schwachen. Da ist es kein Wunder, dass eine Partei Zulauf erhält, die ausschließlich die Folgen beklagt, aber Vorschläge zur radikalen Änderung meidet.

Ich habe in meinen Anmerkungen immer wieder versucht, Ansätze für mehr Gerechtigkeit aufzuzeigen. Trotz meiner Bemühungen, diesen Ideen Beachtung zu schenken, sind diese nicht aufgegriffen worden. Da hat es eine Partei leicht, von "Verbotspolitik" zu faseln und den Leuten einzureden, "die da in Berlin" seien an dem Verlust des Wohlgefühls schuld.

In den letzten Tagen hat Papst Franziskus seine Mahnungen für mehr Klimaschutz bekannt gemacht. Vergleiche dazu meine Anmerkung: Die Umweltenzyklika von Papst Franziskus hat eine Fortsetzung!. Er hat vollkommen recht, wenn er darauf hinweist, dass wirtschaftliche Interessen noch immer alle Bemühungen um den Klimaschutz fortgefegt haben. Wir brauchen aber den Klimaschutz; die daraus resultierenden horrenden Folgekosten müssen nur gerecht verteilt werden. Die Politik hat dafür noch keine Konzepte!

Die Politik muss aber endlich Konzepte entwickeln und sie dem Bürger zur Abstimmung vorlegen. Auf dieser Seite finden Sie meine Vorschläge für mehr Mitbestimmung durch die Bürger. Angesichts der rasanten Entwicklung reicht es nicht mehr, alle vier oder fünf Jahre zu wählen. Der Bürger muss laufend in wichtige, die Weichen stellenden Entscheidungen eingebunden werden. Lesen Sie bitte auch meine Vorschläge zum

Bürgerrecht auf Volksabstimmung

Auch den Medien ist eine Mitschuld an der mangelhaften Aufarbeitung der Krise zu geben. Heizen sie doch mit ihren Schlagzeilen die politische Diskussion immer wieder an, statt selbst tiefgründig über die Zusammenhänge zu berichten und zu erklären, warum welche Maßnahmen erforderlich sind.

Wenn Papst Franziskus mahnt, "endlich [aufzuhören] mit dem unverantwortlichen Spott" über die zu treffenden Maßnahmen, kann ich ihm nur zustimmen. Wir alle müssen die Zeichen der Zeit erkennen und bereit sein, die Ursachen der Krisen zu bekämpfen. Ohne Einschränkungen wird das nicht gehen. Aufgabe der Politik ist es, dass es dabei gerecht zugeht. Und die Medien müssen aufhören, immer nur reißerische Schlagzeilen zu produzieren. Meine Vorschläge liegen schon lange auf dem Tisch.


Abhilfe durch Neugründung einer Partei?

Nach wochenlangem Gehampel hat Sahra Wagenknecht jetzt offiziell die Neugründung einer eigenen Partei bekannt gegeben. Unter der Überschrift "Wagenknecht verlässt die Linke und gründet eigene Partei" berichtet darüber die Süddeutsche Zeitung.

Der Vorgang ist in meinen Augen lediglich eine Bestätigung für die desolate Politik aller Parteien insgesamt. Ich habe deshalb den Artikel wie folgt kommentiert:

Die Krankheit aller Parteien und damit der gesamten Politik besteht doch darin, dass viel gegeneinander gearbeitet wird, statt zu den Problemen der Zeit eindeutig Stellung zu beziehen und gemeinsam Lösungen auf den Tisch zu legen. Und da die Krisen vom Klimawandel bis hin zu den kriegerischen Auseinandersetzungen mit der Folge rund um unsere Verteidigungsfähigkeit Geld kosten, ist für Wohlfühlstimmung kein Raum mehr. Das zu erklären und die Bürger bei den notwendigen Entscheidungen mitzunehmen, schafft derzeit keine Partei. Insbesondere hapert es doch daran, die finanziellen Belastungen sozial gerecht zu verteilen. Wer ist in der Lage, den daraus folgenden Zerfall unserer Gesellschaft zu stoppen? Die Neugründung einer weiteren Partei hilft da auch nicht weiter. Die "Alt-" Parteien müssen da endlich klaren Wein einschenken.

Und innerhalb weniger Minuten schon viel Zustimmung erhalten!

Unter der Überschrift "Neun Linken-Bundestagsabgeordnete schließen sich Wagenknecht an" berichtet auch die Rheinische Post. Dort habe ich meinen vorstehenden Kommentar ebenfalls hinterlassen und Zustimmung erhalten.

23.10.2023


BVerfG verhandelt über die Klage gegen das neue Wahlrecht

24.04.2024 - Süddeutsche Zeitung: "Die Fünf-Prozent-Hürde muss weg"

Zitate aus dem Bericht:

"Bei der Anhörung in Karlsruhe beklagen [ CSU und Linke ] eine massive Benachteiligung durch das neue Wahlrecht. Aber eigentlich ist das heimliche Thema ein ganz anderes."

"Ein Gebot, der Union oder der Linken keinen Schaden zuzufügen, lässt sich im Grundgesetz nicht finden - beim Wahlrecht genießt der Gesetzgeber Gestaltungsfreiheit."

"Interessant an dem Verfahren aber ist, dass es nicht die klagenden Parteien waren, die eine wirklich demokratierelevante Form des Verlusts zum Thema gemacht haben, sondern mehr als 4200 Bürgerinnen und Bürger. Die Klägergruppe der Organisation 'Mehr Demokratie' wendet sich gegen eine altvertraute Größe des Wahlrechts, die demnächst gemeinsam mit der Bundesrepublik 75 Jahre alt wird - die Fünf-Prozent-Klausel."

"Die Fünf-Prozent-Klausel ist ein Stimmengrab (...)"

"Wenn es schlecht läuft, werden (...) auf diese Weise womöglich 20 Prozent der Wählerstimmen versenkt."

Was einmal mit der 5 % - Klausel angedacht war, könnte angesichts der Bündelung von Wählerfrust in einer radikalen Partei einerseits und einer anhaltenden Marginalisierung der Altparteien tatsächlich zu einem Problem werden!

Ich hatte mich bisher in meiner Kritik am bestehenden Wahlrecht darauf konzentriert, die Zahl der Sitze auf das gesetzliche Maß zurückzuführen und deshalb ein Mindestquorum vorgeschlagen. Das wäre hinsichtlich der Direktmandate tatsächlich nicht ohne Wirkung.

Die Neuregelung legt nun die Zahl der Sitze in absoluter Höhe fest und will bei der Besetzung den Parteien den Vorrang vor dem Einzelkandidaten geben. Die Gefahr von Überhang- und Ausgleichsmandaten ist damit gebannt. Da ist es in der Tat nicht verkehrt, über die Gefahr eines "Stimmengrabs" zu diskutieren, das durch die Marginalisierung der Volksparteien entstehen könnte.

Es muss also irgendwie sichergestellt werden, dass die künftige Zahl der Abgeordneten im Bundestag noch immer eine breite Wählerschaft mit ihrer politischen Meinung repräsentiert. Da könnte man doch überlegen, das "Stimmengrab" prozentual zu begrenzen. Dazu könnten die Sitze im Bundestag nach den bekannten Sitzzuteilungsverfahren unter den Parteien verteilt werden, die zusammen mindestens 95 % der Stimmen erreicht haben. Dann wäre das Ziel erreicht, Splitterparteien weitestgehend fern zu halten.

PS: "Fast 970 Millionen Wähler entscheiden über 543 Mitglieder des Unterhauses des Parlaments." Wo? In Indien.


Eine interessante Wahlrechtsanalyse
hat die Süddeutsche Zeitung erstellt:
"Wie der Bundestag aussähe, wenn..."
gestützt u.a. auf wahlrecht.de


Bei der Nachrichtenlektüre gefunden:

"In Deutschland haben viele aufgrund der Erfahrung in Weimar ein skeptisches Bild von Minderheitsregierungen. Wenn wir uns aber heutige Minderheitsregierungen in Skandinavien und Neuseeland anschauen, sehen wir, dass es gut funktioniert und viele demokratietheoretische Vorteile haben kann."

"[Das] Denken in Koalitionskorsetten, nach dem alle Partner immer gemeinsam für oder gegen eine Sache votieren müssen, steht nirgends geschrieben. Man hat es sich selbst auferlegt. Es behindert häufig demokratische Mehrheiten, die es eben oftmals in unterschiedlicher parteipolitischer Zusammensetzung gäbe."

"(...) die idealtypische Minderheitsregierung sucht sich themenspezifische Mehrheiten."

"Ein Vorteil von Minderheitsregierungen liegt darin, dass sie für die Mehrheitssuche das gesamte Parlament einbeziehen."

Quelle: Süddeutsche Zeitung:
"Eine Niederlage bei einer Abstimmung kann attraktiv sein"

Ein Interview mit dem Politologen Christian Stecker, der zu Minderheitsregierungen und neuen Wegen beim Wahlrecht rät, um Reformen zu beschleunigen und Populismus einzudämmen. Ein klares Votum gegen den Koalitionszwang!

16.07.2024


BVerfG billigt neues Wahlrecht dem Grunde nach!

Das vollständige Urteil ist hier veröffentlicht. Der Urteilstenor lautet:

  1. Der Entschluss des Gesetzgebers, das Wahlrecht zu reformieren, ist nicht an besondere Voraussetzungen gebunden.

  2. Das in § 1 Abs. 3, § 6 Abs. 1 und 4 Sätze 1 und 2 BWahlG geregelte Zweitstimmendeckungsverfahren begründet über die gerechtfertigten Ausnahmeregelungen für erfolgreiche unabhängige Bewerber hinaus keine Ungleichbehandlung.

  3. Unter den gegenwärtigen tatsächlichen und rechtlichen Bedingungen erweist sich eine Sperrklausel in Höhe von 5 Prozent als zulässig. Die Ausgestaltung der Sperrklausel in § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BWahlG ist jedoch nicht in vollem Umfang erforderlich. Zur Sicherstellung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages ist es nicht notwendig, eine Partei bei der Sitzverteilung unberücksichtigt zu lassen, deren Abgeordnete im Fall ihrer Berücksichtigung eine gemeinsame Fraktion mit den Abgeordneten einer anderen Partei bilden würden, wenn beide Parteien gemeinsam das Fünf-Prozent-Quorum erreichen würden.

  4. Der Gesetzgeber darf die Sperrklausel modifizieren. Hierbei darf er auch die besondere politische Kraft einer Partei sowohl aus dem Zweitstimmenergebnis als auch aus dem Ausmaß ihres Erfolges in der Erststimmenwahl ableiten und deshalb die Sperrklausel durch eine Wahlkreisklausel abmildern.

Dazu die Pressemitteilung:

"Mit heute verkündetem Urteil hat der Zweite Senat des Bundes-verfassungsgerichts entschieden, dass das Zweitstimmen-deckungsverfahren in § 1 Abs. 3, § 6 Abs. 1, Abs. 4 Sätze 1, 2 Bundeswahlgesetz (BWahlG) mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar ist. Die 5 %-Sperrklausel in § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BWahlG verstößt aber derzeit gegen Art. 21 Abs. 1 und Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG. Bis zu einer Neuregelung gilt sie mit der Maßgabe fort, dass bei der Sitzverteilung Parteien mit weniger als 5 % der Zweitstimmen nur dann nicht berücksichtigt werden, wenn ihre Bewerber in weniger als drei Wahlkreisen die meisten Erststimmen auf sich vereinigt haben."

Überzeugend ist folgende Schlussbemerkung hinsichtlich des wichtigsten Ziels der Reform, den Bundestag nicht mehr durch Ausgleichsmandate aufzublähen:

"Das Zweitstimmendeckungsverfahren dient der Zusammensetzung des Bundestages nach Parteienproporz ebenso wie das bislang geltende System der Ausgleichsmandate. Anders als der Begriff der „Kappung“ suggeriert, wird Parteien durch das Zweitstimmen-deckungsverfahren kein ihnen bereits zugeteiltes Sitzkontingent gekürzt. Die damit erreichte Einhaltung der gesetzlichen Größe des Bundestages führt lediglich dazu, dass im kommenden Deutschen Bundestag von jeder Partei – bei unterstellt gleichbleibenden Wahlergebnissen – weniger Abgeordnete vertreten sein werden, als dies nach dem bisherigen Wahlrecht der Fall gewesen wäre."

Das wichtigste Ziel der Reform ist somit erreicht. Die kostenträchtige Aufblähung des Bundestages ist damit vom Tisch!

Auch die (5 % -) Sperrklausel wird nicht grundsätzlich in Frage gestellt:

"Sie schafft die Voraussetzungen dafür, dass Zusammenschlüsse von Abgeordneten mit gleichgerichteten politischen Zielen im Bundestag (Fraktionen) grundsätzlich eine bestimmte Mindestgröße haben. Die Höhe der Sperrklausel von 5 % der bundesweiten gültigen Zweitstimmen ist für diesen Zweck sachgerecht."

Hinsichtlich der Klage der CSU wird ausgeführt:

"Unter den gegenwärtigen tatsächlichen und rechtlichen Rahmen-bedingungen ist die Ausgestaltung der Sperrklausel in § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BWahlG jedoch nicht in vollem Umfang erforderlich. Zur Sicherstellung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Bundestages ist es nicht notwendig, eine Partei bei der Sitzverteilung unberücksichtigt zu lassen, deren Abgeordnete eine gemeinsame Fraktion mit den Abgeordneten einer anderen Partei bilden würden, wenn beide Parteien gemeinsam das Fünf-Prozent-Quorum erreichen würden."

Auf die LINKE und andere kleine Parteien bezogen wird ausgeführt:

"Werden Parteien, die in dieser Form kooperieren, bei der Anwendung der Sperrklausel gemeinsam berücksichtigt, stellt dies eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen Parteien dar. Sie erhalten – anders als andere Parteien – auch dann Bundestags-mandate, wenn jede Partei für sich die Voraussetzung des § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BWahlG nicht erfüllt."

Zur Reform der Sperrklausel wird angeführt:

"Der Gesetzgeber ist zwar verpflichtet, die Sperrklausel so auszugestalten, dass sie unter den derzeitigen rechtlichen und tatsächlichen Bedingungen nicht über das zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Bundestages Erforderliche hinausgeht. Er ist aber nicht auf die Einführung einer Möglichkeit der gemeinsamen Berücksichtigung zweier, in der dargestellten Form kooperierender Parteien beschränkt. Vielmehr kann er die Sperrklausel auch in anderer Weise modifizieren."

Wie in meiner Anmerkung vom 24.04.2024 unter Verweis auf einen Artikel der Süddeutschen Zeitung ausgeführt, besteht inzwischen das Problem, dass viele Wählerstimmen unter den Tisch fallen könnten. Um ein solches "Stimmengrab" zu vermeiden, rege ich an, die Sperrklausel umzudrehen.

In der Reihenfolge ihrer Gesamtstimmenzahl sollten Sitze an die Parteien vergeben werden, die zusammen mindestens 95 % der Wählerstimmen gewinnen konnten. Splitterparteien ohne Relevanz wären so erfolgreich ausgeschlossen, ohne dass man überlegen müsste, wo die Untergrenze für eine neue Sperrklausel anzusetzen wäre, um die Arbeitsfähigkeit des Bundestages zu erhalten.

Wenn die Stimmen zu vieler Bürger unter den Tisch fallen, weil zu viele Parteien wegen einer Sperrklausel nicht zum Zuge kommen, fühlen sich die betroffenen Wähler nicht repräsentiert. Das Parlament sollte aber ein weitgehend stimmiges Abbild politischer Grundströmungen darstellen.


Diskussion in den Medien

Ich habe die vielen Berichte und Leser-Diskussionen in den Medien am Tag der Entscheidung verfolgt und möchte noch einmal folgendes zusammenfassen:

Bei der ganzen Berichterstattung und Diskussion wird oft vergessen, dass es unsere inzwischen weit gefächerte Parteienlandschaft ist, die zur Aufblähung des BT geführt hat. Wenn angesichts der Vielzahl der Bewerber in einem Wahlkreis ein Kandidat nur noch äußerst selten eine Mehrheit von mehr als 50% der Stimmen auf sich vereinen kann, darf sich ein Wahlgewinner mit 30% der Stimmen nicht mehr als Abgeordneter dieses Kreises verstehen. Immerhin haben 70% der Wähler gegen ihn gestimmt.

Viel wichtiger ist deshalb die Repräsentation der Wähler durch die Parteien. Deren Anteile sind für die Meinungsbildung ausschlaggebend. Wenn dann bei der Verteilung der Mandate nach Zweitstimmen nur die mit der höchsten Stimmenzahl Gewählten in den BT einziehen, ist das demokratischer, als die Abarbeitung der von den Parteien aufgestellten Listen. Dem trägt das neue Wahlrecht Rechnung!

Das BVerfG sieht das offensichlich genauso; Zitat in TZ 282:

"Die Wahlkreiswahl verstärkt die Legitimation der Listenwahl, indem sie bei der Sitzvergabe an den Anfang der Liste die erfolgreichen Wahlkreisbewerber setzt (...). Deshalb gilt weiterhin, dass der Gesetzgeber die besondere politische Kraft einer Partei sowohl aus dem Zweitstimmenergebnis als auch aus dem Ausmaß ihres Erfolgs in der Mehrheitswahl ableiten darf (...)."

Auf meine Erläuterung zu den Überhang- und Ausgleichsmandaten mit ihren Möglichkeiten einer völligen Schieflage weise ich noch einmal hin. Ganz abgesehen von den Folgekosten durch die Aufblähung des Bundestages. Gut, dass das jetzt vorbei ist. Die Unionsparteien - insbesondere die CSU - haben allen Grund, auf ihr Geschrei gegen das Urteil zu verzichten.


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