Mail an einen Wissenschaftler
Rentenfinanzierung im demographischen Wandel
Mail vom 27.12.2016
Sehr geehrter Herr W.,
ich beschäftige mich schon seit Jahren mit der Frage, wie eine gerechte Altersversorgung gesichert werden kann. Und da ich jetzt gerade wieder in der Presse eine Äußerung aus dem Umfeld des Sachverständigenrates zum Thema Rente gelesen habe, habe ich mal ein wenig auf den Seiten dieser Einrichtung gestöbert und bin auf Ihr Arbeitspapier mit dem o.g. Titel gestoßen.
Es regt mich fürchterlich auf, dass das Rentenniveau immer wieder mit dem Demographischen Wandel in Verbindung gebracht wird. Natürlich kann man darüber nachdenken, ob das Regeleintrittsalter angesichts ständig steigender Lebenserwartung verändert werden muss. Dazu führen Sie aber zutreffend aus, dass sich dafür auch die Arbeitsbedingungen im Alter ändern müssen.
Die Probleme der Finanzierung der gesetzlichen Altersversorgung haben aber ganz andere Ursachen!
Diese liegen in der auseinanderdriftenden Arbeitswelt begründet. Will sagen: es gibt einerseits Bereiche, die hoch technisiert immense Erträge abwerfen bei geringstem Personalaufwand, und andererseits Dienstleistungsbereiche, auf die wir dringend angewiesen sind, aber keine Industrielöhne zu zahlen bereit sind.
Sehen Sie sich bitte auf meiner Homepage um. Dort finden Sie viele Hinweise, wie ich den Konflikt sehe und ihn zu lösen vorschlage. Ich finde auch immer wieder Zustimmung zu meinem Denkansatz, dass endlich das Kapital stärker belastet werden muss, damit die Arbeit entlastet wird.
Als gelernter Steuerfachmann nehme ich für mich in Anspruch, zu diesem Thema ausreichend kompetent zu sein. Ich bin längst im Ruhestand und mein parteipolitisches Engagement habe ich auch bereits eingestellt. Gerade aus dieser Unabhängigkeit heraus, erlaube ich mir, provokant den Vorschlag einer "Automationsdividende" aufzugreifen und dazu das Modell einer "Wertschöpfungsabgabe" zu entwickeln.
Mit freundlichem Gruß
Günter Striewe
Antwort vom 06.01.2017
Sehr geehrter Herr Striewe,
besten Dank für Ihre Nachricht. Aufgrund der Feiertage komme ich erst jetzt dazu, Ihnen in Ruhe zu antworten. Ich sehe Ihr engagiertes Eintreten für eine auskömmliche Alterssicherung. Sie beziehen sich dabei allerdings in erster Linie auf die absolute Höhe von Rentenansprüchen. Meine Überlegungen zum Zusammenhang zwischen Rentenniveau und Demographie stellen dagegen auf eine Definition des "Niveaus" ab, die jeweils die Relation zwischen Renten und durchschnittlichen Erwerbseinkommen der Aktiven betrifft. Dafür gilt als klarer rechnerischer Zusammenhang, dass eine Verdoppelung des demographischen Altenquotienten zu Spannungen zwischen Rentenniveau und Beitragssatz der Aktiven führt. Auch ein schnelleres Wachstum der Erwerbseinkommen könnte daran so gut wie nichts ändern; die Renten wären dann absolut gesehen höher, aber Rentenniveau oder Beitragssatz oder beides bleiben unter Druck. Das beantwortet bei weitem nicht alle rentenpolitischen Fragen, stellt aber ein wichtiges Fundamentaldatum für die zukünftige Rentenfinanzierung in Deutschland dar.
Mit freundlichen Grüßen
Meine Replik vom 06.01.2017
Sehr geehrter Herr W.,
vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, meine Anmerkungen zu lesen. Sie haben aber offensichtlich in meiner zusammenfassenden Darstellung vom 27.11.2016 übersehen, dass ich dort ausdrücklich geschrieben habe: "Das Verhältnis der (durchschnittlichen) Rente zum (durchschnittlichen) Arbeitslohn wird einmalig festgelegt."
Ich will eben auch die wechselseitige Beeinflussung von aktiven und passiven Einkünften erhalten. Schließlich sehen das auch alle beamtenrechtlichen und dem nachgebildeten betrieblichen Versorgungsregelungen so vor.
Das Problem ist aber, dass betriebliche Systeme eben nur in der Industrie zu finden sind, kaum aber im handwerklichen Dienstleistungsbereich. Gerade die letzteren leiden aber noch zusätzlich unter dem Druck auf das Brutto-Lohnniveau. Und an dieser Stelle setzen die Ideen von einer Automatisierungs-dividende und meiner Wertschöpfungsabgabe an. Sie wirkt gegen die Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen und entlastet zumindest diejenigen Arbeitnehmer von Abgaben, die schon jetzt einen geringen Bruttolohn erhalten.
Solange die Wirtschaft boomt, ist genügend Geld vorhanden, das auf alle am Erfolg beteiligten Menschen verteilt werden kann. Manager vergessen allzu schnell, dass ihre Ideen nichts wert sind, wenn das Team sie nicht umsetzt. (Muss ein Herr Winterkorn jetzt über 3.000 € täglicher Pension erhalten? - Achtung: Polemik!) Und wir brauchen den Müllmann, der den Dreck wegräumt, damit keine Epidemien ausbrechen. Und unser GG verpflichtet das Eigentum. Was hindert den Gesetzgeber, endlich dem Kapital höhere Lasten aufzuerlegen? Auf diese Frage sind Sie leider nicht eingegangen.
Wir brauchen endlich diese Gesamtbetrachtung. Es ist Aufgabe der Wissenschaft, dazu eine Vorleistung zu erbringen und die Politik entsprechend zu beraten. Die Bertelsmann-Stiftung hat mir schon einmal in diese Richtung zugestimmt, aber das Thema offensichtlich nicht weiter verfolgt.
Ich würde mich freuen, wenn Sie noch einmal tiefer in diese Zusammenhänge einsteigen könnten.
Mit freundlichem Gruß und einen guten Jahresanfang wünschend
Günter Striewe
Antwort vom 09.01.2017
Sehr geehrter Herr Striewe,
besten Dank für Ihre Nachricht. Ich habe gesehen, dass Sie mit Ihren Überlegungen für die Zukunft auf eine Fixierung des Rentenniveaus zielen. Mir ging es allerdings um analytische Fragen zur Entwicklung des Rentenniveaus (bisher und unter dem derzeit geltenden Recht auch in Zukunft), speziell um die von Ihnen bezweifelten Zusammenhänge mit der demographischen Entwicklung.
Dazu vielleicht noch einen Hinweis, der Ihren Diagnosen widerspricht. Der Anteil beitragspflichtiger Entgelte am Bruttoinlandsprodukt ist in den letzten 25 Jahren (gesamtdeutsche Daten) bei massiven konjunkturellen Schwankungen trendmäßig um rund 2,5 Prozentpunkte oder 5% gefallen; das ist nicht wenig. Gleichzeitig hat sich aber der demographische Altenquotient um 50% erhöht -- hierher kommt die Anspannung der Rentenfinanzen daher überwiegend. Sie wird bislang nur durch einen massiven Ausbau der Bundesmittel und in den letzten zehn Jahren auch durch eine (unerwartet) günstige Arbeitsmarktentwicklung eingedämmt.
In den nächsten 25 Jahren wird sich der Altenquotient nochmals verdoppeln. Eine Fixierung des Rentenniveaus würde den Beitragssatz enorm in die Höhe treiben oder -- das ist Ihre Idee -- eine Mobilisierung anderer Finanzierungsquellen erfordern. Was ich zum Finanzbedarf für noch höhere Bundesmittel zu sagen habe, steht bereits in meinem aktuellen Papier. Umverteilende (Einkommen- und/oder Vermögen-)Steuern für "Reiche" können den einfach nicht decken. Und eine gezielte Besteuerung des Produktionsfaktors Kapital (früher "Maschinensteuer" genannt, die Idee ist ja nicht neu), werden wir angesichts der Größenordnung unseres demographischen Alterungsprozesses im internationalen Standortwettbewerb wohl auch nicht in ausreichender Höhe durchsetzen können.
Sie hören, ich bin Ihren Ideen gegenüber sehr skeptisch.
Trotzdem verbleibe ich gern mit freundlichen Grüßen
Meine Replik vom 09.01.2017
Sehr geehrter Herr W.,
vielen Dank für Ihre kritischen Anmerkungen. Ich habe am Wochenende folgende Nachricht auf meiner Seite unter Wert der Arbeit verlinkt: "Wolfsburger Spitzenreiter beim Einkommen"
Diese gravierenden Einkommensunterschiede spiegeln genau die Spannweite, die sich aus der unterschiedlichen Wertschöpfung von industrieller und handwerklicher Arbeit/Dienstleistung ergibt. Es ist der Vorrang der monetären Betrachtung aller Lebensverhältnisse, der die Diskussion um die soziale Gerechtigkeit so schwierig macht.
Ihren Hinweis auf den fallenden Anteil der beitragspflichtigen Entgelte am Bruttoinlandsprodukt greife ich gerne auf. Er bestätigt nämlich die von mir vertretene Grundannahme, dass das Kapital die Arbeitsplätze vernichtet. Diese werden entweder ganz gestrichen oder eben in 450-Euro-Jobs umgewandelt, damit mehr Profit erzielt wird.
Wenn Sie weiter darauf hinweisen, dass in den letzten 10 Jahren die Bundesmittel massiv ausgeweitet werden mussten, ist das ein weiterer Beweis, dass mein Denkansatz zutreffend ist. Ich habe auch schon Politikern, die weitere Steuermittel forderten entgegengehalten, dass die Unterstützung aus dem Topf der Bundesmittel leider eben auch über die Steuern derjenigen zu zahlen ist, die eigentlich unterstützt werden sollen. Da wäre es doch nicht nur einfacher sondern auch systemimmanenter, wenn die erforderlichen Mittel an der Stelle abgeschöpft werden, die die Ursachen für die negative Entwicklung trägt.
Wenn Sie noch umverteilende Steuern ansprechen, möchte ich Sie gerne an die Bedeutung und Herkunft des Wortes Steuern erinnern. Es wird viel zu gerne als die Beschreibung von Lenkungsmaßnahmen missbraucht. Dabei bedeutet es nichts anderes, als dass jeder seinen Anteil zum Gelingen des Gemeinwesens beizusteuern hat. Wie jede Beitragssatzung im Kleinen, bestimmt der Staat im Großen die Höhe dieses Beitrages und unser Grundgesetz schreibt vor, dass es dabei sozial zuzugehen hat.
Es geht also nicht um Umverteilung, sondern um gerechte Verteilung der Erträge und Lasten. Da helfen komplizierte Berechnungen nicht viel weiter. Es kommt auf die Bewertung der Ergebnisse an.
Ich bin noch "Kriegsware" und habe das Wirtschaftswunder erlebt. Es war möglich, obwohl wir damals exorbitant hohe Spitzensteuersätze hatten. Und wem bewusst wird, dass diesen Spitzensteuern ausgewichen werden konnte, indem die vielen Investitionserleichterungen genutzt wurden (Beispiel: Oetker und Schiffe!), der versteht auch meine gleichzeitig ins Spiel gebrachte Forderung nach einheitlicher Unternehmensbesteuerung mit niedrigem Steuersatz auf alle Gewinne, die zur Stärkung des Eigenkapitals im Unternehmen verbleiben. Folgt man dem, brauchen wir uns um den internationalen Wettbewerb nicht zu sorgen, denn wir sind zugleich weitaus geringer von den Finanzmärkten und den sich dort tummelnden Spekulanten abhängig.
Ich würde es außerordentlich begrüßen, wenn wieder in Zusammenhängen gedacht und gehandelt würde, die nicht die monetären Bedürfnisse der Wirtschaft in den Mittelpunkt stellen, sondern ihren Blick auf den arbeitenden und den in Arbeit alt gewordenen Menschen richten. Noch wichtiger ist es, denen zu helfen, die schon jetzt ins Bodenlose gefallen sind; und da blicke ich über den Tellerrand unserer Staatsgrenzen hinaus.
Bitte lesen Sie auch einmal, welche Gedanken ich zur Flüchtlingskrise, zum Freihandel und zum Ressourcenverbrauch zusammengetragen habe. Angesichts des Terrors in der Welt dürfen wir uns nicht mehr mit einer verengenden Diskussion um Standortvorteile aufhalten. Wir müssen endlich begreifen, dass wir mit unseren starken Schultern Verantwortung für die Verhältnisse im gesamten globalen Dorf tragen! Der Aspekt von Ungerechtigkeiten, den wir beide in den letzten Tagen per Mail diskutiert haben, ist ja nur ein nationaler Ausschnitt; aber fangen wir doch einfach mal im nationalen Bereich an mit einem neuen Denken.
Ihre skeptische Haltung verstehe ich; sie ist geprägt vom klassischen Denken der Wirtschafts- und Sozialwissenschaft.
Wenn Sie sich umfassend auf meiner Seite umgesehen haben, müssen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass ich die mitmenschliche Verantwortung und die Verantwortung des Menschen für die ganze Welt zum Leitbild meiner Ideen nehme. In diesem Sinne fühle ich mich durch die Umweltenzyklika des Papstes bestätigt, aus der ich inzwischen mehrfach in meinen Artikeln zitiert habe. Zu deren politischen Dimensionen hatte ich einen Vortrag für die Bildungsarbeit meiner örtlichen Kolpingfamilie erarbeitet und nachher auf meiner Homepage zum Nachlesen öffentlich gemacht.
Ich würde mich freuen, wenn Sie jetzt mehr Verständnis für meine Ideen entwickeln können.
Mit freundlichem Gruß
Günter Striewe
Antwort vom 13.01.2017
Sehr geehrter Herr Striewe,
Ihre grundlegende Einschätzung, dass "das Kapital die Arbeitsplätze vernichtet", teile ich weiterhin nicht. Die ungünstige Trend-Entwicklung der versicherungspflichtigen Lohnsumme seit der Wiedervereinigung ging die ersten 15 Jahre mit einer allgemeinen Gewinn- und v.a. Investitionsschwäche der deutschen Unternehmen einher. Zu dieser Zeit wurden Arbeitsplätze nicht so sehr abgebaut, sondern verlagert. Da dies nicht immer die erhofften Vorteile brachte, da in Deutschland gleichzeitig aber massive Anpassungen an die Globalisierung erfolgt sind und ab Anfang der 2000er Jahre außerdem eine weit reichende Reformblockade überwunden wurde, hat sich der Trend in den letzen 10 Jahren gedreht. Die inländischen Investitionen sind weiterhin nicht toll (im internationalen Vergleich nur weniger schlecht, weil seither auch in anderen Ländern weniger investiert wird). Aber am Arbeitsmarkt fand ein enormer Beschäftigungsaufbau statt, der sich keinesfalls nur auf geringfügige oder in anderer Weise prekäre Beschäftigung bezieht. Vielmehr hat auch die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, sowohl absolut gesehen als auch in ihrem Anteil an der gesamten Erwerbstätigkeit, wieder deutlich zugenommen.
Mit freundlichen Grüßen
Meine Replik vom 13.01.2017
Sehr geehrter Herr W.,
vielen Dank, dass Sie noch einmal auf meine Argumentation eingehen. Gleichwohl können mich auch Ihre neuerlichen Hinweise nicht von meiner Einschätzung abbringen, dass das Kapital unzureichend belastet ist. Ich fasse deshalb noch einmal stichwortartig die Punkte zusammen, auf die Sie bisher nicht eingegangen sind:
Wie stellt man sicher, dass die gesetzliche Rente eine Höhe erreicht, die in einem angemessenen Verhältnis zur Lebensleistung des Versicherten steht? Und wie soll das finanziert werden, ohne den allgemeinen Steuertopf zu belasten?
Wie erreicht man, dass auch in den dringend benötigten Dienstleistungsberufen ein Arbeitslohn gezahlt werden kann, der mit dem Standard der Industrie mithalten kann? Da denke ich nicht nur an Handwerker, sondern insbesondere an die aufopferungsvollen Leistungen der Kranken- und Altenpflege sowie der immer mehr geforderten frühkindlichen Fremdbetreuung!
Bedenkt man den von hoch bezahlten Managern zu verantwortenden Betrug an unser aller Gesundheit (Abgasskandal), ist doch die jetzt von der SPD aufgeworfene Frage nach einer Begrenzung der Spannweite zwischen diesen Bezügen und denen der in diesen Betrieben Beschäftigten vollauf berechtigt. Welche Alternative ich sehe, habe ich inzwischen unter Wert der Arbeit angemerkt.
Was verbirgt sich hinter Ihrem Hinweis, die Arbeitsplätze seien nicht vernichtet sondern nur verlagert worden? Wenn Sie damit die Arbeitsplätze im Blick haben, die in neu gegründete Tochter-Service-Gesellschaften ausgelagert worden sind, damit der Mutterbetrieb sich der teuren Tarifbindung entzieht, ist das auch keine soziale Wohltat!
Wenn auch Sie die derzeitige Investitionsquote nicht gerade bejubeln, müssten auch Sie sich fragen, ob das auch am mangelnden Risikokapital liegen könnte. Wenn sie sich jetzt etwas bessert, kann das an der Niedrigzinspolitik der EZB liegen. Mit meiner Forderung, die im Unternehmen verbleibenden Gewinne niedrig zu besteuern, kann sich die Wirtschaft durch Stärkung des Eigenkapitals von temporären Einflüssen des Finanzmarktes frei machen.
Ich habe mir noch einmal das Fazit Ihrer Problembeschreibungen angesehen. Es bleibt eine Beschreibung und bietet keinen ehrlichen Ansatz, die sozialen Unterschiede der aktiv Beschäftigten und der künftigen Rentner in einem neu geordneten Finanzierungskonzept aufzulösen.
Als junger Mensch hatte auch ich Bedenken gegen die damals schon diskutierte Maschinensteuer, weil wir glaubten, dass sie die Innovation behindere. Heute haben wir - gerade im Bereich der Digitalisierung - eine sich ständig selbst überholende Neuerungsrate, die die Frage aufwirft, wie wir den dadurch produzierten Müll sachgerecht entsorgen. Wachstum auf Kosten der Umwelt kann es ja nun auch nicht sein!
Sie sehen also, dass das von mir in den Mittelpunkt meiner Überlegungen gestellte Problem in einer mit mehr Weitsicht zu führenden Diskussion eingebettet werden muss. Nur der Vergleich wirtschaftsrelevanter Daten hilft da nur unzureichend weiter. Wie sagt man so schön: "Entscheidend ist, was hinten raus kommt!" Und die Politik ist gut beraten, wenn sie auf die Sorgen der Bürger eingeht und nicht den Tanz um das Goldene Kalb fördert.
Wenn zwar die USA jetzt gegen VW-Manager strafrechtlich vorgehen, man sich aber in Deutschland schwer tut, Manager zur Verantwortung zu ziehen, stößt das beim Bürger auf Unverständnis. Es ist also noch viel zu tun, um wieder ein Gefühl von Gerechtigkeit zu erzeugen. Die Wissenschaft sollte dazu mit ihren Mitteln beitragen, indem sie nach einer Beschreibung von Missständen auch zukunftsweisende Modelle entwickelt. Nicht zuletzt deshalb hatte ich auch Sie angeschrieben!
Mit freundlichem Gruß
Günter StrieweWeitere Antwort vom 13.01.2017
Sehr geehrter Herr Striewe,
wir reden aneinander vorbei -- und verlieren uns dabei in Details. Zwar sehen wir beide Probleme für die jetzige und v.a. für die zukünftige Renten-finanzierung. Aber wir stufen dafür verschiedene Gründe als vorrangig ein, und daher kommen wir auch bei der Frage nach Lösungsmöglichkeiten nicht zusammen.
Die größte Herausforderung für die Finanzierung des gesetzlichen Rentensystems liegt derzeit in der demographischen Alterung. Diese hat sich so lange angebahnt und wird sich bis etwa 2040 so stark entfalten, dass es aus heutiger Sicht keine einfache Lösung dafür gibt. Wegen der engen Verknüpfung eines Umlage-Rentensystems mit der inländischen Demographie gibt es genau genommen gar keine echte Lösung, nur möglichst vielgliedrige Strategien zur Dämpfung der Probleme in der GRV und zur Ergänzung mit anderen Formen der Altersvorsorge. Ich weiß nicht, was Sie unter "zukunftsweisenden Modellen" verstehen, aber viel bessere Nachrichten habe ich leider nicht -- jedenfalls nicht mit Wirkung für die nächsten zwei bis vier Jahrzehnte, sondern nur wenn man noch weiter in die Zukunft denkt.
Die gesetzliche Rente jetzt in ihrem Niveau zu fixieren, würde einen Gutteil der nötigen Anpassungen unmöglich machen und ließe das Problem unverändert an anderer Stelle hervortreten -- wo genau, hinge von der Finanzierung ab. Ein auskömmliches, durchschnittliches Niveau der Altersvorsorge lässt sich in Zukunft bestenfalls über mehrere Säulen hinweg erreichen, und schon das wird nicht leicht. Sie sprachen in einer Ihrer vorherigen Nachrichten von der betrieblichen Altersversorgung (bAV) mit festem Niveau der Leistungszusagen als einem Vorbild für das, was Sie auch im gesetzlichen Rentensystem erreichen wollen. Sie wissen aber sicherlich, dass auch in bAV längst beitragsbasierte und nicht leistungsbasierte Zusagen üblich geworden sind. In diesem Fall ist es weniger die Demographie, die das nahe legt, und die daraus resultierende Verteilung von Ertragsrisiken ist volkswirtschaftlich nicht unbedingt ein Gewinn. Aber es zeigt zum einen, dass langfristige Leistungszusagen, die ohne Rücksicht auf ökonomische oder demographische Fundamentaldaten abgegeben werden, schwer einzuhalten sind. Zum anderen passt es besser zu einer flexiblen Mehr-Säulen-Strategie der Altersvorsorge, in der jede Säule ihr bestes geben soll.
Sie wollen das demographische Problem nicht sehen. Statt dessen halten Sie eine andere Ursache für entscheidend -- und haben, anders als ich bei meiner Analyse, ein Patentrezept dagegen. Schön. Ich will gar nicht allen Details widersprechen, die Sie am Status quo in Arbeitsmarkt, sektoraler Lohnstruktur, Einkommensverteilung etc. kritisieren. Aber ich wollte Sie mit einigen Einwänden darauf hinweisen, dass Ihre Probleme für die GRV jedenfalls nicht die zentralen sind und dass deren Lösung die Rentenfinanzierung ggfs. noch nicht sichert.
Mit besten Grüßen
P.S. Mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen meinte ich in erster Linie ein Off-shoring und Out-sourcing ins Ausland, verbunden mit entsprechenden Investitionen dort.
Meine weitere Replik vom 13.01.2017
Sehr geehrter Herr W.,
schön, dass Sie noch einmal geantwortet haben.
Wir kommen tatsächlich nicht auf einen Level, solange keine Einigung darin besteht, dass der Ertrag einer Volkswirtschaft ehrlich zwischen den Aktiven, den vorausgegangenen und den nachfolgenden Generationen geteilt werden muss. Schließlich sprechen wir bei der umlagefinanzierten Rente auch immer wieder vom Generationenvertrag. Und hierzu habe ich meine Gedanken bereits in der Mail an einen Bundestagsabgeordneten der CDU auf den Punkt gebracht. Wenn aufgrund der fortgeschrittenen monetären Zerlegung der sozialen Bindungen ein Surrogat gefunden werden musste, um die Versorgung der Alten sicherzustellen, dann kann der Bürger auch erwarten, dass es das Ausgangsmodell verlässlich abbildet.
Die immer wieder propagierten Mehr-Säulen-Modelle scheitern doch daran, dass sie viel zu verwaltungsaufwändig sind und gerade von denen, die dringend eine Aufbesserung Ihrer GRV brauchen, nicht finanzierbar sind. Statt der Hilfskonstruktionen staatlicher Zuschüsse wäre es einfacher, die Finanzierungsbasis der GRV um die Wertschöpfungsabgabe zu erweitern. Das würde die Lohnkosten entlasten und den Aktiven schon jetzt mehr Spielraum geben.
Mit Ihrem PostScriptum bestätigen Sie - offensichtlich ungewollt - meine These, dass das Kapital die Arbeitsplätze vernichtet. Erst dadurch, dass das Kapital über alle Grenzen hinweg seine profitablen Projekte suchen kann, beutet es die Arbeitnehmer wieder wie "Sklaven" aus. Das ist ein Rückfall in den Manchester-kapitalismus. Ich will nur hoffen, dass das nicht Ihr Ziel ist. Lesen Sie bitte, was ich bereits seit 2008 zur Finanz- und Bankenkrise zusammengetragen habe.
Wir sollten unseren Dialog nun tatsächlich beenden. Er hat gezeigt, wie schwer es ist, die fiskalische Betrachtung mit moralischen Grundsätzen in Einklang zu bringen. (...)
Mit freundlichem Gruß
Günter StrieweMein Diskussionspartner hat mir inzwischen geschrieben, dass er sich halt als "Bote einer schlechten Nachricht" sehe!
Dabei haben wir es dann belassen.
Bitte lesen Sie auch weiter unter:
Produktivität schlägt Demografie!